Stoff für eine Oper...

...oder doch eher ein typisch deutsches Trauerspiel? Der Kapp-Putsch am 13. März 1920  ■ Von Jürgen Karwelat

Das gibt's wohl nur in Deutschland – die gescheiterten Putschisten kriegen obendrein noch ihre Pension. So geschehen bei den Anführern des sogenannten Kapp- Putsches im März 1920.

Wer kennt ihn heute noch, Wolfgang Kapp, geboren am 24.7. 1858 in New York und gestorben am 12.6. 1922 in Leipzig, ostpreußischer Generallandschaftsdirektor und selbsternannter Reichskanzler vom 12. bis 17. März 1920? 16 Monate nach dem Sturz der Hohenzollernmonarchie versuchten rechtsnationalistische Kräfte, die Regierung unter dem Sozialdemokraten Gustav Bauer zu stürzen und eine nationalkonservative Regierung zu installieren, die vor allem den „Bolschewismus“ bekämpfen und die Position des Militärs in der Gesellschaft sichern wollte. Als „Kapp-Putsch“ ist dieses Abenteuer in die deutsche Geschichte eingegangen.

Kapp war 1916 Mitbegründer der rechtsradikalen Vaterlandspartei. Unmittelbarer Anlaß für den Putschversuch war die bevorstehende Auflösung der sogenannten Freikorps-Truppen, Freiwilligenverbände, die nach Beendigung des Krieges vor allem im Baltikum gekämpft hatten. Am 1. März erklärte der Oberbefehlshaber des Reichswehrkommandos I, General Walther von Lüttwitz, beim einjährigen Bestehen der Marine-Brigade Ehrhardt am Truppenübungsplatz Döberitz: „Wir lassen uns nicht auflösen, lieber stürzen wir die Regierung.“ Die regierungs- und demokratiefeindliche Haltung des Verbandes war nur zu offensichtlich: Ihre Fahne war die schwarzweißrot gestreifte Reichskriegsflagge der Monarchie, dazu ein Hakenkreuz am Stahlhelm. Am 10.3. stellte Lüttwitz dem Reichspräsidenten Ebert ultimativ seine Forderungen: Auflösung der Nationalversammlung, Neuwahlen, und seine – Lüttwitz' – Ernennung zum Oberbefehlshaber der Reichswehr. Statt den Putschgeneral sofort zu verhaften, beurlaubte Reichswehrminister Noske ihn nur am nächsten Tag. So konnten die Putschisten in den nächsten Tagen ihre Pläne für eine Militärdiktatur weiterschmieden. Am Samstag, den 13. März sollte die Marine-Brigade unter Ehrhardt das Berliner Regierungsviertel besetzen. Von diesem Tag stand dann auch Kapp als „Reichskanzler“ zur Verfügung.

Die Putsch-Pläne blieben der Regierung nicht verborgen. Die Mobilisierung der Truppen zum Schutz der Regierung hatte jedoch zur Folge, daß die Brigade Ehrhardt ebenfalls informiert wurde. In der Nacht zum 13.3. schließlich entschied die Regierung, nachdem sich nur ein Teil der Reichswehr loyal zeigte und zum Widerstand gegen die Putschisten bereit war („Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“), ihren Amtssitz nach Dresden zu verlegen. In Berlin blieb nur ein Teil der Minister wie Vizekanzler Eugen Schiffer und Reichswehrminister Noske.

Die ersten Stunden verliefen für die Putschisten nach Plan. Die Brigade Ehrhardt besetzte am Morgen des 13. März das Berliner Regierungsviertel. Gegenwehr wurde nicht geleistet. Soldaten mit Maschinengewehren und Minenwerfern „sicherten“ die Ministerien. An der Reichskanzlei wurde die schwarzweißrote Kriegsflagge gehißt, vom Auswärtigen Amt flatterte die Hohenzollernflagge. Die Zeitungshäuser wurden besetzt, das Erscheinen der Samstags- und Sonntagszeitungen untersagt.

Die sich anschließenden fünf Tage „Regierung“ der Putschisten hätten in ihrem Dilettantismus allerdings gut und gern den Stoff für eine Filmkomödie oder eine Oper abgegeben. Der Generalstreik der Gewerkschaften, der schon am Vormittag des 13. März ausgerufen wurde, und der passive Widerstand der Regierungsbeamten ließ die Putschisten zu Karikaturen ihrer selbst werden.Als Kapp und Lüttwitz um 7 Uhr morgens in die Reichskanzlei einzogen, waren die dort beschäftigten Beamten bereits mit dem Staatssiegel verschwunden. Im ganzen Haus war keine Schreibmaschine und keine Stenotypistin aufzutreiben. Nachdem Soldaten in einem benachbarten Geschäft eine Schreibmaschine beschlagnahmt hatten, konnte Kapps Tochter die Texte der neuen „Regierung“ tippen. Ein vollständiges Kabinett hatte Kapp nicht zusammenbekommen, weite Teile der Rechtsnationalen verhielten sich erst einmal abwartend. Sie fürchteten nicht zu Unrecht die Reaktion der Arbeiterschaft. Wie isoliert Kapp, Lüttwitz und der Drahtzieher Ludendorff waren, zeigt die Tatsache, daß am 16.3. selbst der Deutsche Beamtenbund zum Streik aufrief.

Schwierigkeiten hatte die Putschregierung auch dabei, an das nötige Geld zu kommen. Den 6.000 Mann der Brigade Ehrhardt, die auf den Berliner Straßen Wache hielt, war höherer Lohn versprochen. Also wurde Ehrhardt von Kapp mit einer von ihm unterzeichneten Anweisung zur Reichsbank-Hauptkasse in die Jägerstraße geschickt, was aber erfolglos war, da die Beamten dort erklärten, man löse nur ordentliche Schecks ein, außerdem sei Sonntag. Der zweite Versuch am Montag, den 15.3. verlief genauso erfolglos. Ehrhardt gelang es zwar, bis zum stellvertretenden Reichsbankpräsidenten vorzudringen und ihm einen Scheck vorzulegen, der mit „Kapp“ unterzeichnet war. Der Beamte meinte aber, einen Reichskanzler dieses Namens nicht zu kennen. Noch mehrmals tauchten Offiziere in der Reichsbank auf, die aber mit immer komplizierter lautenden Anweisungen fortgeschickt wurden. An Geld kamen die Putschisten auf diese Weise nicht.

Da sich im Reich nur wenige Leute den Putschisten anschlossen und sich die Reichswehr weitgehend neutral verhielt, (nur wenige Truppenkommandeure in Ost- und Norddeutschland schlugen sich auf die Seite Kapps) brach der Umsturzversuch schließlich nach und nach zusammen. Gegen Mittag des 17. März trat der Putsch- Reichskanzler Kapp zurück. Die Verschwörer hatten eingesehen, daß ihre Situation aussichtslos geworden war. Die Freikorps-Truppen zogen allerdings nur zögernd aus der Stadt ab. Es gab zahlreiche Schießereien vor allem in den Arbeitervierteln mit Toten und Verwundeten, so auch am Nachmittag des 18.3. am Bahnhof Tiergarten, als zehn Menschen getötet und 123 verletzt wurden. Meist waren es Schüsse auf Zivilisten, die die Soldaten bei ihrem Abzug mit Schmährufen bedachten.

In den folgenden Tagen kam es in ganz Deutschland zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Arbeitern und der Reichswehr. Im Ruhrgebiet hatte sich beispielsweise eine „Rote Ruhrarmee“ gebildet, die weitreichende politische Veränderung in Richtung Sozialismus forderte und auf der Auflösung der Reichswehrtruppen beharrte, die der Regierung ihre Unterstützung versagt hatte.

Das Putschabenteuer verlief für die Akteure sehr glimpflich. Zwar wurden noch am 18. März Haftbefehle gegen die Hauptverantwortlichen erlassen. Die meisten konnten jedoch mit Pässen, die bei der Polizei gefälscht worden waren, aus Berlin fliehen. Kapp setzte sich mit dem Flugzeug nach Schweden ab und kehrte 1922 zurück. Ihm sollte als einem der wenigen der Prozeß gemacht werden, er starb allerdings am 12. Juni 1922 in der Untersuchungshaft. Andere tauchten in Bayern und Ungarn unter.

Ludendorff, der große Drahtzieher im Hintergrund, blieb völlig unbehelligt. Einzig verurteilt wurde der Innenminister der Putschregierung und frühere Berliner Polizeipräsident, Traugott von Jagow, der im Dezember 1921 fünf jahre Festungshaft erhielt, aber schon 1924 begnadigt wurde. Wieder in Freiheit, verklagte er den preußischen Staat auf Zahlung seiner Pension – und gewann. Auch Lüttwitz, der sich nach Ungarn abgesetzt hatte, klagte erfolgreich seine Pension ein, sogar rückwirkend von den Putschtagen ab. Kurz nach seiner Ernennung zum neuen Reichspräsidenten erließ Hindenburg 1925 eine Amnestie für alle Urheber und Anführer des Kapp-Putsches.