„Wortbruch“ der Bundesregierung

■ Die Arbeitsministerinnen von Berlin und Brandenburg, Christine Bergmann und Regine Hildebrandt (beide SPD), wurden vom Bewilligungsstopp überrumpelt

taz: Frau Hildebrand, Frau Bergmann, hat Sie die Nachricht über den ABM-Stopp aus Nürnberg überrascht?

Hildebrandt: Ich war völlig von den Socken. Ich dachte, das kann garnicht sein, das ist eine Ente.

Bergmann: Wir sind voll überrascht worden, weil wir noch nicht damit gerechnet haben, daß im Rahmen der Solidarpaktverhandlungen so ein Hammer kommt.

Aber Ihnen war doch bekannt, daß die Mittel der Bundesanstalt für Arbeit für AB-Maßnahmen in Höhe von 9,9 Milliarden Mark nicht für das ganze Jahr reichen.

Bergmann: Dieses war uns bekannt. Wann der Etat jedoch ausgeschöpft sein wird, war uns nicht bekannt. Wir haben von den Landesarbeitsämtern kein Signal bekommen, daß uns in Alarm versetzt hätte. Wir haben diesen Haushalt der Bundesanstalt so nie akzeptiert, wir haben immer auf den Zahlen bestanden, die wir für notwendig halten.

Was hat denn Ihre Hoffnung genährt, daß der Bund Mittel nachschießt?

Hildebrandt: Wir verhandeln zur Zeit doch über den Solidarpakt, und in dem Alternativkonzept der SPD steht eindeutig drin: 7,2 Milliarden Mark zusätzlich für die Bundesanstalt und außerdem Aufhebung der Spareinschränkungen in der Abeitsförderungsgesetznovelle, die am 1.1.93 in Kraft getreten ist. Ich sagte mir, das brauchen wir und das werden wir uns jetzt erhandeln. Doch ehe wir zum Handeln kommen, kommen die vollendeten Tatsachen.

Was halten Sie der Bundesregierung vor?

Bergmann: Ich werfe der Bundesregierung eindeutig Wortbruch vor. Es waren beim Bundesarbeitsminister Blüm immer die 350.000 AB-Maßnahmen im Gespräch, es wurde uns immer gesagt, das, was dazu fehlt, können wir mit dem Paragraphen 249h des Arbeitsförderungsgesetzes auffüllen. Insgesamt würde es keine Reduzierung der Zahlen geben. Nach dem, was jetzt beschlossen wurde, gibt es jedoch eine eindeutige Reduzierung.

Die von Blüm propagierten 350.000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren doch nicht mehr als eine politische Willenserklärung.

Bergmann: Wenn der Bundesarbeitsminister Blüm im Bundesrat dieses erklärt, muß ich das eigentlich als verbindlich betrachten. Worauf soll ich mich denn sonst noch verlassen können?

Was bedeutet der Bewilligungsstop für den Berliner Arbeitsmarkt?

Bergmann: Das bedeutet, daß im Laufe diesen Jahres 70 Prozent der ABM-Projekte auslaufen werden, in absoluten Zahlen heißt dies im Ostteil der Stadt ein Wegfall von 20.000 der 30.000 ABM-Stellen, im Westteil wären das auch noch einmal 4.000.

Und wie sieht's in Brandenburg aus?

Hildebrandt: Der Stopp wäre eine Katastrophe. Wir haben 45.000 Maßnahmen und in der Regel laufen die jetzt aus. Wir haben einen großen Teil von Projekten, die nur über ABM finanziert werden. Ungefähr 60 bis 80 Prozent von den 45.000 Stellen würden wegfallen, weil sie erneuert werden oder neu beginnen.

Welche Rolle wird der Schritt der Bundesanstalt bei den Beratungen der Ministerpäsidenten der Länder spielen?

Bergmann: Die SPD-Ministerpräsidenten werden sich auf jeden Fall damit befassen. Arbeitsmarktpolitik ist für uns immerhin ein Essential...

Wie lautet dieses Essential konkret bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen?

Bergmann: Wir müssen den Stand an ABM halten, das ist das Minimum. Zusätzlich müssen wir die Maßmahmen, die der Paragraph 249h AFG bietet, ausschöpfen, um ein Stück Stabilität in anderen Bereichen zu erreichen.

Rechnen Sie damit, daß alle Ministerpräsidenten ein solch einheitliches Votum wie ihre Arbeitsminister abgeben?

Bergmann: Bei den neuen Ländern rechne ich damit. Wenn sie es nicht tun, dann wissen sie nicht, was in ihren Ländern los ist.

Interview: Dieter Rulff