War es Mord oder Totschlag an der Startbahn West?

■ Der Bundesgerichtshof verhandelte die Revisionsbegehren im Falle Eichler

Karslruhe (taz) – Vor dem 3. Strafsenat am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe fand gestern das Revisionsverfahren in Sachen Andreas Arthur Rudolf Eichler statt. Eichler war am 15.März 1991 vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen Totschlag und versuchtem Totschlag an jeweils zwei Polizisten, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen Anschlägen auf Hochspannungsmasten und Einrichtungen an der Startbahn West zu 15 Jahren Haft verurteilt worden.

Das Revisionsverfahren vor dem BGH war notwendig geworden, weil sowohl die Anwälte von Eichler als auch die Bundesanwaltschaft (BAW) das Urteil des OLG nicht akzeptierten. Der Generalbundesanwalt möchte Eichler lebenslänglich wegen Mordes hinter Gittern sehen: Der Startbahngegner habe die Tat „heimtückisch und aus niedrigen Motiven heraus“ begangen. Und seine Opfer sein „arglos“ gewesen – „alles klassische Mordmerkmale“. Der „Mordanschlag auf das Leben Unbeteiligter“, die den Bau der Startbahn nicht zu verantworten gehabt hätten, sei gerade ein Beleg dafür, daß der Täter „aus niedrigen Beweggründen“ heraus zur Waffe gegriffen habe. Und obgleich die Polizeibeamten an diesem 2.November 1987 von militanten Startbahngegnern mit Molotowcocktails und Leuchtraketen angegriffen worden seien, hätten sie mit Pistolenschüssen nie gerechnet, seien deshalb „arglos“ gewesen. Weil Eichler vor der Tat „Schießübungen gemacht“ habe, könne auch nicht von einer spontanen Tat die Rede sein.

Eichler-Verteidiger Widmaier aus Karlsruhe wies die Einlassungen des Anklagevertreters zurück: Das OLG habe in seiner Urteilsbegründung zu Recht darauf hingewiesen, daß die Tat „von der Protesthaltung des Angeklagten gegen die Startbahn West bestimmt“ gewesen sei. Zwischen den Demonstranten und den Polizisten habe in dieser Nacht eine regelrechte Schlacht stattgefunden. Und deshalb seien die Polizisten „nicht arglos“ gewesen. Auch ein Molotowcocktail könne – „wie wir heute alle wissen“ – eine tödliche Waffe sein. Und „heimtückisch“ habe der Angeklagte auch nicht gehandelt. Es habe ein „aggressiver Exzeß in einer Totschlagssituation“ stattgefunden.

Seinen eigenen Revisionsantrag begründete Widmaier vornehmlich mit einer „Unterlassungssünde“ des OLG bei der Urteilsfindung. Das OLG habe es nämlich versäumt, den Zeugen Opifizius zu vereidigen. Opifizius, einer aus der Gruppe der Startbahngegner um Eichler, hatte in seiner ersten polizeilichen Vernehmung den Mörfeldener Startbahngegner Frank Hofmann als „Todesschützen“ angegeben. Später hatte Opifizius diese Aussage widerrufen und vor Gericht ausgesagt, „nichts gesehen“ zu haben. Einen Verteidiger-Antrag auf Vereidigung des Zeugen hatte das OLG seinerzeit abgelehnt, weil genug Indizien vorhanden seien, die die Schuld Eichlers eindeutig belegten. Eichler behauptet, „nicht geschossen“ zu haben.

Am Freitag soll die Entscheidung veröffentlicht werden. Beobachter erwarten eine Bestätigung des OLG-Urteils – trotz unterbliebener Würdigung zahlreicher Verfahrensaspekte. Klaus-Peter Klingelschmitt