Lettische Seeleute gestrandet

■ Russisches Schiff mit 19 Seeleuten an Bord muß von katholischer Mission versorgt werden

Lettische Seeleute gestrandet

Russisches Schiff mit 19 Seeleuten an Bord muß von katholischer Mission versorgt werden

„Der Kapitän sagt jeden Tag, alles ist okay, aber wir haben nicht mal Frühstück.“ Zwei russische Kinderbibeln neben sich auf der Bank, sitzt Sergej Zhilinsky (34), Offizier auf dem russischen Handelschiff „Kanin“, in der katholischen Seefahrtsmission „Stella Maris“. Hier bekommen er und die anderen 18 lettischen Besatzungsmitglieder nicht nur Kaffee und russische Bibeln — „Ich habe

hierhin die beiden

Männer auf der

Schiffsbrücke

Trotz mieser Situation: Ein Lächeln ist bei den lettischen Seeleuten immer drinFoto: Katja Heddinga

leider keine anderen Bücher auf Russisch“, entschuldigt sich Sozialarbeiter Franz Wellerding achselzuckend, auf lettisch schon gar nicht — sondern Hilfe, die sie dringend benötigen: Nicht nur, daß die Mannschaft seit dem 17. Januar in Bremen festsitzt — vor zwei Wochen ging ihr auch noch der Proviant aus.

Die Wasserschutzpolizei

informierte die

katholische Mission

So trostlos, wie das 34 Jahre alte, rostige Schiff im Bremer Europahafen daliegt, so trostlos ist auch seine Lage: Seit mehr als einem Monat wird die „Kanin“ im Bremer Hafen von den Behörden festgehalten — als das Schiff in Bremen einlief, hatte die Wasserschutzpolizei bei der Routinekontrolle entdeckt, daß das Schiff keine internationalen Papiere besitzt — ein Verstoß gegen die internationalen Schiffahrtskonventionen, der ein Auslaufen nun unmöglich macht.

Seit Wochen versucht der Kapitän nun, den Eigner zu erreichen — ohne Erfolg. „Schon vor der Reise hat er uns jeden Tag versprochen: Morgen kommen die Papiere“, erzählt Chef-Offizier Ivan Kozlov. Doch der Eigner kümmert sich nicht nur nicht um die fehlenden Papiere — dabei handelt es sich lediglich um eine englische Fassung der in kyrillischer Schrift angefertigten Schiffspapiere, die vom Flaggenstaat ausgestellt werden müssen — sondern bezahlt auch die für die „Kanin“ zuständige Schiffsagentur nicht mehr und überläßt die Crew ihrem

Schicksal.

Am 23. Dezember startete die Reise der „Kanin“ im lettischen Liepaja — von dort ging es nach St. Petersburg, um eine Ladung Holz für Bremen und Antwerpen an Bord zu nehmen. Dort lag sie im übrigen, wie in Bremen jetzt wieder, Seite an Seite mit dem ebenfalls wochenlang zahlungsunfähigen kubanischen Frachter „Ignacio Agramonte“, (wir berichteten). „In St. Petersburg begannen schon unsere Verpflegungsprobleme“, erzählt Offizier Zhilinsky. „Da haben wir dann noch einmal Verpflegung für 20 Tage an Bord genommen.“ Doch es ging nicht nach Fahrplan weiter: Langes Warten auf einen Eisbrecher und schwere Stürme behinderten das Weiterkommen.

Immerhin schaffte es der alte Kahn bis nach Bremen. Am 11. Februar kam dann von der „Kanin“ ein Hilferuf: Sergej Zhilinsky und der Chef-Offizier Ivan Kozlov, die als einzige an Bord Englisch sprechen, wandten sich an die einzige ihnen bekannte Kontakstelle in Bremen - an die Wasserschutzpolizei. An Bord war das Essen ausgegangen, vom Reeder kam kein Geld mehr. Sofort wurde die ITF, die Gewerkschaft der Seefahrer, und die katholische Schiffahrtsmission „Stella Maris“ eingeschaltet — die half mit 20 Hühnern, 180 Eiern, kiloweise Würstchen und Rindfleisch erst einmal aus.

Seitdem werden die lettischen Seeleute zumindest regelmäßig mit dem Nötigsten versorgt. Das ist aber auch alles. „Wir denken nur noch daran, wie wir nach Hause zu unseren Frauen und Kindern kommen können“, sagt Ser

gej Zhilinsky. Jeder Tag hier ist für sie ein verlorener Tag: Verträge hat die Crew keine, sie wurde vom russischen Reeder mündlich angeheuert. „Geld haben wir schon seit dem 12. Januar nicht mehr bekommen“, sagt Kozlov, und: „Wenn wir hier noch lange bleiben, reicht das Öl nicht mal mehr für die Rückreise.“ Der Generator läuft den ganzen Tag — damit die Seeleute wenigstens nicht auch noch frieren müssen.

Die Probleme mit den Papieren sind nicht neu: Bereits zwei mal fuhr die „Kanin“, vorher nur in Rußland und den baltischen Staaten unterwegs, in internationalem Gewässer — einmal nach Rotterdam, einmal nach Hull, Großbritannien. „In Hull hatten wir genau dieselben Probleme wie hier“, sagt Kozlov. Die Botschaft besorgte damals Papiere für die Rückreise, und auch hier besteht die Möglichkeit, sich ein Zertifikat lediglich für den Heimweg ausstellen zu lassen — doch selbst das soll 4.000 Mark kosten. Die internationalen Papiere sind noch teurer, der Eigner offensichtlich nicht liquide. „Nach der Auflösung der östlichen Staaten kommen solche Fälle ab und zu vor“, sagt Uwe Reinecke von der Wasserschutzpolizei. „Doch wenn die Papiere da sind, kann das Schiff sofort auslaufen.“

Darauf will die Crew nicht warten. „Egal wie, wir wollen zurück“, so die Offiziere. „Wir kriegen das schon hin“, ist sich Sozialarbeiter Wellerding sicher.“ Und dann? Zumindest Ivan Kozlov erwartet in Lettland die Arbeitslosigkeit — „Die gesamte Fischfangflotte liegt in Liepaja fest, weil es kein Öl mehr gibt.“ Susanne Kaiser