120 StudentInnen im Seminar? Dann lieber Radio!

■ Drei Studierende der Bremer Universität über die Studien-Reform, über das Leben in der Massen-Uni und die Verschärfungen

taz: Ihr habt mobilisiert gegen Zwangs-Exmatrikulation und Studiengebühren. Senator Scherf hat klar gesagt: „Beides nicht mit mir.“ Hat Euch das beruhigt?

Antje Lorch: Nein. Die Diskussion um die Studien-Gebühren war, glaub ich, so ein Schachzug: Wir sollten uns alle furchtbar aufregen und uns dann freuen, wenn es sie doch nicht gibt. Und Zwangs-Exmatrikulationen sind in den Rahmen- DPO's (Diplom-Prüfungs- Ordnungen) drin und sollten letztes Jahr in einem Studiengang eingeführt werden.

Lars Jeschke: Vom Tisch sind die generellen Gebühren ab 1. Semester, da ist ja sogar Kohl gegen. Aber für Zweitstudien oder soganannte 'Dauerstudenten' ist das noch nicht vom Tisch.

Es geht um die Massen-Uni. Früher haben 5 oder 10 Prozent eines Jahrgangs studiert, heute sind es 40, fast 50 %. Das kann doch nicht zu denselben Bedingungen gehen; wollt Ihr, daß beliebig viele StudentInnen beliebig lange die Studienplätze verstopfen?

Antje: Tun sie gar nicht. Viele machen ab dem 8. Semster nicht mehr ihre 24 Wochenstunden, sondern nur 2 Veranstaltungen, weil sie auf ein Praktikum warten oder keinen Diplomplatz haben. Die werden von der ZVS auch gar nicht mehr mitberechent. Außerdem: Wer 15 Semester studiert, kriegt längst kein Bafög mehr und hat auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die liegen niemand auf der Tasche, sondern verdienen selbst.

Immer wird so getan, als ob eine kürzere Studiendauer gut ist. Das ist falsch. Die Regelstudienzeit wird zu Höchst-Studienzeit festgeschrieben, völlig an der Realität vorbei!

Lars: Warum werden sie denn nicht in 9 Semstern fertig? Sie kriegen zu wenig oder kein Bafög, die Eltern können das nicht finanzieren, sie arbeiten, viele versorgen Kinder. In Politikwissenschaft gibt es rund 1.000 Studierende, aber nur noch 4 Professoren für Prüfungen oder Diplomarbeiten, da kann man gar nicht in 8 Semestern fertig werden. Außerdem: Die Studierenden-Zahlen müssen sogar noch steigen, Prognosen sehen großen Akademiker-Bedarf voraus!

Aber mit Examen! Über 40 % brechen das Studium ab. Wie kommt es zu dieser dramatischen Quote?

Christine Weiß: Leute brechen ab, wenn sie Studium und Arbeiten nicht mehr unter einen Hut bekommen, wenn sie arbeiten müssen, Kinder versorgen...

Antje: Wenn man zum x-ten Mal in einer Veranstaltung sitzt, wo es rappelvoll ist, wo man nur die Hälfte mitkriegt, wenn Seminare nur noch Vorlesungen sind, dann fragt man sich: Was soll das? In Bremen sind 400 BiologInnen arbeitslos; das relativiert auch den Sinn des Studiums.

Forschung bringt Geld und Renommee, Lehre wird oft als lästige Arbeit weggeschoben. Das konstatiert auch der Senator. Haben Eure Profs in der Lehre keinen Ehrgeiz?

Antje: Für die Naturwissenschaften gilt das sicher. Die meisten Arbeitsgruppen werden über Drittmittelforschung finanziert. Wer viele Aufträge ranholt — das ist auch wichtig für künftige Bewerbungen —, hat keine Zeit und keine Lust für die Lehre, schon gar nicht für Grundkurse. Die haben dazu keine Lust.

Lars: Die Universitäten müssen erst mal so ausgestattet werden, daß wir von den Massen- Veranstaltungen wegkommen. Bremen liegt bei den Wissenschaftsausgaben weit am Ende der Länderliste, aber an der Spitze der Studierendenzahl: eine Auslastung von 226 Prozent letztes Jahr. Nach Unesco-Maßstäben sind wir ein Entwicklungsland!

Was heißt Lehre in Eurem Studien-Alltag?

Christine: Total schulisch. Im Grundkurs Literaturwissenschaften, wo es um die elementaren Methoden gehen soll, sitzen 80 Leute. Die Professorin macht das wie in der Schule, gibt Aufgaben, fragt ab, läßt Protokolle schreiben. Ich ziehe durch, was sie mir sagt, ich fühle mich nicht motiviert, wissenschaftlich fragend heranzugehen.

Antje: Die Idee der Bremer Uni waren die Projekte mit 10, 15 Leuten, wo referiert und diskutiert wird. Ein Seminar über Tod mit 120 Leuten — das ist ein Witz! Da ist Radio bessser!

Ihr sprecht eigentlich immer nur das Massenproblem an.

Lars: Weil zu wenig angeboten wird: Einführung in die Politikwissensachaft für 200 Studierende einmal im Jahr, ausnahmsweise zweimal!

Die Erfahrung ist: An den Fachhochschulen (FHS) wird anders unterrichtet, da gibt es deutlich weniger Abbrecher, das Ganze ist schlanker, effektiver, geradezu erfolgreicher, womöglich motivierender. Jetzt schlagen Wissenschaftsrat und Senator vor: Von diesem Modell lernen wir und sortieren Studiengänge: berufsbezogen und wissenschaftlich für Leute, die eine Hochschul-Karriere machen wollen. Nicht alle, die mit Bio oder Musik anfangen, wollen nachher Professorin werden! Die meisten wollen in einen Beruf, als Lehrerin, in der Pharma- Industrie, in einem Verlag — was habt Ihr dagegen?...

Antje: Ein wissenschaftliches Studium — mehr, als die FHS in 6 Semestern unterrichtet, braucht man auch in der Pharma-Industrie, nicht nur für die Uni-Laufbahn. Oft wird auch ein Doktor- Titel verlangt, nicht nur für Professoren.

Lars: Man muß die wissenschaftlichen Methoden lernen.

Antje: Viele Probleme werden kommen, von denen man jetzt noch nichts weiß. Leute müssen sich einarbeiten können. Vor ein paar Jahren hätte man nicht gedacht, daß man eine Strahlen-Biologin braucht, die Leukämie untersucht. Leukämie wird inzwischen nicht nur von Ärzten, auch von Physikern untersucht.

In Eurer Resolution, die nach den Streiktagen verabschiedet wurde, fordert Ihr sowas: Abschaffung des Abiturs als Zugangs-Voraussetzung. Oder: Abschaffung der Deutsch-Prüfung für ausländische Studierende, weil die diskriminiernd sei. Gleichzeitig klagt Ihr über die Massen-Uni...

Christine: Alle jungen Menschen, die es wollen, müssen das Recht haben zu studieren!

Aber Ihr findet auch, daß sie vorher lesen und schreiben gelernt haben müssen?

Lars: Das Abitur soll nicht an sich, sondern als Zugangsvoraussetzung abgeschafft werden. Wer eine Lehre gemacht und im Beruf gearbeitet hat, soll studieren können.

Ohne Nicht-Abiturienten- Prüfung?

Lars: Die Studierenden mit Abitur haben auch nur durch Zufall was gelernt!

Christine:Ich kann Abitur in Bio und Kunst und Geschichte gemacht haben und trotzdem Elektrotechnik studieren, das ist ja genau dasselbe!

Lars: Ein Handwerker, der 10 Jahre im Beruf war, könnte leichter Jura studieren und beurteilen, wen das Arbeitsrecht zum Beispiel wie über den Tisch zieht, als ein Abiturient frisch aus der Schule mit null Erfahrung. Solche Erfahrungen muß man erst mal zulassen.

Ein rotes Tuch für manche Studierende ist die Ausrichtung der Studieninhalte auf „die Wirtschaft“, bis hin zu abstrusen Verschwörer-Theorien, daß der Bund der Deutschen Industrie den Kultusministern seine Wünsche in die Papiere diktiert. Sind berufliche Qualifikationen gar nicht relevant? Gefordert wird doch andererseits von Euch „Praxisbezug“ und „gesellschaftliche Relevanz“.

Antje: Viele Uni-Forschung läuft ja über Drittmittel direkt für die Wirtschaft. Dadurch werden Inhalte festgelegt: Umwelttechnik statt Ökologie. Wer die Gelder gibt, entscheidet über Inhalte. Eine Zeitlang ist viel über

Christine Weiß, 23, studiert Literaturwissenschaften; Antje Lorch, 24, Biologie; Lars Jeschke, 23, Politikwissenschaften Foto: Jörg Oberheide

Pflanzenhormone und — abwehrstoffe geforscht worden, um zu gucken, warum manche Pflanzen nicht von Raupen befallen werden. Mit der Erfindung von DDT ging das gegen Null. Manchmal werden Lösungen nicht gefunden; weil es kein Geld dafür gibt; daß sie gesucht werden.

Lars: Die Studierenden werden hinterher gefragt, aber sie können die Inhalte nicht mitbestimmen.

Scherf hat angekündigt, mit mehr Geld „Erfolg“ in der Lehre zu belohnen, Könnte man die Professoren so nicht ködern zu mehr und besserem Unterricht?

Lars: Wie lange studiert wird, liegt nicht nur an den Professoren. Die können für uns nicht die Familienarbeit erledigen oder die finanzielle Grundsicherheit besorgen. Man sollte den Professoren nicht noch mehr Geld hinterherwerfen, sondern mehr Mitarbeiter und Hochschullehrer einstellen.

Also noch mehr Hochschullehrer, die sich dann auch wieder wenig um Lehre und viel um Forschung bemühen, weil es da Geld und Anerkennung und Ausstattung gibt.

Antje: Was ist denn erfolgreiche Lehre? Die bloße Anzahl der Abschlüsse hängt ja vom Stu

3 junge Leute

diengang ab. Gute Lehre wäre ja auch, zum kritischen Denken anzuregen, sich um Arbeiten zu kümmern. Wer soll das bewerten? Die Profs selbst wissen nicht, was ihre Kollgen machen. Das wissen nur die Studis.

Im Moment gibt es an der Uni Bremen einen internen „selbstkritischen Prozeß“. Der Rektor hat die Fachbereiche aufgefordert, Bilanz und Konzeptionen vorzulegen, um Studiengänge und Prüfungsordnungen zu reformieren, zu entrümpeln. Ist das ein sinnvoller Weg?

Lars: Die Professoren haben im Fachbereich die Mehrheit und entscheiden, und in den Studiengängen ist es sehr unterschiedlich, ob Studierende mitreden dürfen. Wenn Professoren, die ihre Spezialgebiete verfolgen, sagen sollen, welche Inhalte kommen sollen...

Antje: Wenn der Fachbereich gefragt wird, sitzen eher die rechten Profs in den Gremien. Das kommt dann beim Rektor an. An anderen Unis werden Elemente des Projektstudiums aufgenommen. Und es gibt bei uns durchaus den Trend zu den klassischen Unis, weil Bremen Angst hat, doch nicht richtig anerkannt zu sein.

Ihr studiert nicht in Freiburg oder Berlin oder Bochum, sondern in Bremen. Warum?

Antje: Vor allem wegen des Projektstudiums. Und wegen der Reste von Interdisziplinarität: daß ich immer noch auch in der Biologie verpflichtet bin, mich mit gesellschaftswissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen Anteilen zu beschäftigen. Da träumen andere Unis nur von! Das sind Sachen, für die wir uns bei der letzten Prüfungsordnung einsetzen mußten, daß sie nicht rausflogen.

Christine: Viele kommen auch nach Bremen, weil die Zulassungsbeschränkungen hier nicht so wie an anderen Universitäten waren.

Die Studierenden vertreten in der Debatte um Studienreform: „Bildung statt Ausbildung“. Scherf hat gesagt: „Hoffentlich werden das gebildete Ausgebildete!“; und natürlich gehe es um Technikfolgen-Abschätzung und Ethik, gerade in Bremen, um Methoden statt Auswendiglernen. Der Senator kommt in die Uni, Ihr diskutiert — fühlt Ihr Eure Anliegen, Eure Kritik gut aufgehoben?

Lars: Er hat sich nicht bitten lassen, das ist gut. Aber man hat gemerkt, daß er uns beschwichtigen wollte. Er nimmt die Studierenden nicht ernst. Und er hat unterstellt, daß wir die Papiere nicht mal kennen.

Fragen: Susanne Paas