■ Das Portrait
: A. M. Brazauskas

hier Foto Nr. 14

Foto: Reuter

Algirdas Mykolas Brazauskas kann es nicht mehr hören, wenn man ihn auf seine kommunistische Vergangenheit anspricht. Schmunzelnd läßt er die Frage über sich ergehen, und dann kommt es messerscharf: „Natürlich ist das ein Handicap für mich und alle Litauer. Es gab in der litauischen KP 210.000 Parteimitglieder, doch nur drei Prozent davon waren überzeugte Kommunisten. Ich war nur einfaches Parteimitglied, denn ich kannte die Partei zu gut, um überzeugter Kommunist zu sein.“

Die LitauerInnen glauben dem Mann, der 1959 in die Kommunistische Partei eingetreten ist und später als Reformkommunist ihr Erster Sekretär wurde. Geschickt hat er sich gewandelt und mit der Unabhängigkeitsbewegung gegen Moskau mitgearbeitet. Unter seiner Führung vollzog die litauische KP 1988 als erste den historischen Bruch mit der Moskauer Mutterpartei, trotz heftiger Warnungen von Michail Gorbatschow. „Die Präsidentschaftswahl hat Brazauskas damals gewonnen“, meint heute ein ehemaliger Landsbergis-Mitarbeiter. Brazauskas war es, der die in ein Museum umfunktionierte Kathedrale in Vilnius wieder der Kirche übergab, er war es, der die litauische Fahne über Vilnius hissen ließ und die Nationalhymne wieder einführte.

Für viele Litauer ist Algirdas Brazauskas einer der ersten Unabhängigkeitsverfechter, der auf seine Art die ehemalige Sowjetunion untergrub. Sein größter Fehler, gestand er kürzlich, sei es gewesen, Estland nicht unterstützt zu haben. Als man in Tallinn 1988 die Souveränität der estnischen Gesetze über die Unionsgesetze beschloß, vermied er in Litauen die Debatte über diese Frage.

Damals galt er als unentschlossen. Heute weiß er, was er will: sich von den alten Genossen trennen und als vom Volk gewählter Präsident über die Parteipolitik hinwegsetzen. Der Wahlsieg seiner Arbeiterpartei gegen Landsbergis letzten Oktober kam auch für ihn überraschend.

In seine Regierung, die nach den Parlamentswahlen gebildet wurde, hat er nur drei ehemalige Parteigenossen aufgenommen, der Rest der Minister besteht aus parteilosen Experten. Damit hat Brazauskas bereits erwiesen, daß er derzeit der einzige litauische Politiker ist, der das politisch in zwei feindliche Lager gespaltene Land vereinen und als „Landesvater“ Einheit, Zusammenarbeit und Stabilität bringen kann. Matthias Lüfkens