Die Biedermeier halten still & dicht

■ Keinerlei Reaktion auf das Schweriner Untersuchungsergebnis

Berlin (taz) – Schwerin schläft. Der größte innenpolitische Skandal seit der Wiedervereinigung wird anhaltend totgeschwiegen. Obwohl seit Freitag bekannt ist, daß die Rostocker Polizeiführung in der Brandnacht am 24.August 1992 ein Stillhalteabkommen mit den rechtsradikalen Randalierern getroffen hatte und dem Schweriner Untersuchungsausschuß detaillierte Berichte darüber vorliegen, bleibt eine politische Reaktion in Bonn wie Mecklenburg-Vorpommern aus.

Nicht eine Fraktion im Schweriner Schloß, weder die Oppositionsparteien SPD und PDS, noch die Regierenden aus FDP und CDU waren gestern bereit, die neue Entwicklung bei der Aufklärung der Vorgänge in der Brandnacht von Rostock- Lichtenhagen zu kommentieren.

Keine Auskunft auch bei der Rostocker Staatsanwaltschaft, bei der nach wie vor Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung gegen den Schweriner Innenminister Lothar Kupfer (CDU), den damaligen Rostocker Polizeichef Siegfried Kordus und den Einsatzleiter Jürgen Deckert anhängig sind. Die Staatsanwälte werden am kommenden Freitag vom Untersuchungsausschuß vernommen.

Daß ausgerechnet jene drei Dokumente, in denen von dem ominösen „Abkommen“ zwischen Polizei und rechten Randalierern die Rede ist, dem Ausschuß bis Januar nicht vorlagen, ist für das Schweriner Innenministerium überhaupt kein Problem. Man arbeite auf Anforderung, und der Ausschuß habe diese Unterlagen eben nicht angefordert, erklärte ein Sprecher. Demgegenüber hatte der stellvertretende Ausschußvorsitzende Manfred Rißmann (SPD) dem Ministerium vorgeworfen, dem Ausschuß wären trotz entsprechender Anforderungen schon mehrfach nicht alle Akten vorgelegt worden. Auch nach den neuesten Ungereimtheiten bleibt der Innenminister dabei, „sich stets genau an die Anforderung der Akten durch den Untersuchungsausschuß gehalten“ zu haben. Die SPD-Vorwürfe seien nichts als „unseriöse Unterstellungen“ und „allzu offensichtlich nur von parteipolitischem Kalkül geprägt“.

Daß bei dem erst am Donnerstag endgültig zugestellten Bericht des Polizeihauptkommissars Skrocki die beiden entscheidenden Seiten fehlten und erst auf Nachfrage der FDP nachgeliefert wurden, erklärte Kupfers Sprecher mit einem „Bürofehler“. Der Skrocki-Bericht belegt, daß die Einsatzleitung wegen des „Waffenstillstandsabkommens“ dringend benötigte Reservekräfte nicht bewilligte.

Aus den Dokumenten (siehe taz vom Montag) geht hervor, daß der Hundertschaftenführer der Polizei, der dringend um Unterstützung bat, bei seinem Vorgesetzten Deckert auflief: „Wir haben ein Abkommen mit den Störern und dürfen uns dort nicht sehen lassen.“ Waldemar Skrocki war daraufhin mit drei weiteren Kollegen auf eigene Faust den bedrängten Polizeizügen Reppin 30 und 40 an der umkämpften S-Bahn-Brücke zu Hilfe geeilt. Währenddessen standen rund 250 Polizisten anderthalb Kilometer weiter an der Polizeiinspektion Lütten Klein und warteten auf Godot. Diese Tunix- Strategie nützte nicht nur den rechten Gewalttätern, sondern forderte auch viele Verletzte unter den eingesetzten Beamten.

Lothar Kupfers Rückzugslinie bleibt, daß er für Polizeistrategien keine „politische Verantwortung“ übernehmen könne; die SPD, die den Innensenat von Rostock stellt, hält sich zurück. Bisher spricht alles dafür, daß auch die Spitzen des Staates, mit kleinen Affairen beschäftigt, Rostock aussitzen wollen. Sitzfleisch ist ja genügend vorhanden.

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