Berliner Barock

„Tabula Rasa“, die neue CD der Einstürzenden Neubauten – ab heute in den Läden  ■ Von Thomas Groß

Von wegen Tabula Rasa. Die Tische sind akkurat gedeckt im Schöneberger Lokal „Strada“, das sich vornehm „Mediencafé“ nennt. Welkes Laub auf weißem Linnen, Heublumen an Strohgebinden, dazwischen Rotwein, Nuß und Mandelkern nebst integrierten Möglichkeiten zum diskreten Abaschen. Respekt! Hübsch hinfällig hindrapiert, das Ganze. Ein schönes Präludium für das Buffet, das im hinteren Teil des Raumes aufgebahrt ist: totes Huhn (oder war es Wachtel?), toter Hase, kalter Fisch, bleicher Käse – das Buffet zur Band zum Stil zum Image: nature morte, irgendwie malerisch und überbordend, ein Stilleben zwischen Arcimboldo und Pieter Brueghel dem Älteren.

Fast ist man geneigt, der Inszenierung Kern und Grund zu übersehen: den Stapel frischgepreßter CDs, der neben der Theke unauffällig lagert. Doch bei näherem Hinsehen wird auch hier mächtig aufgetischt: „Bundesweite Handelsdeko (Schaufenster!) in 200 Shops“, heißt es in einem beiliegenden Faltblatt, „mit Doppel DinA0-Postern, Cutouts, 2.000 großformatigen Fensterklebern, Covern, Booklets etc – Dekokits vorhanden!“. Auch „4-farbige Anzeigen (1/1 oder 1/2-seitig)“ in Musikblättern von ME/Sounds bis WOM-Journal wollen zur Kenntnis genommen werden. Wer jetzt noch nichts kapiert hat, den werden die annoncierten Videoclips „mit garantierter MTV-Option“ überzeugen. Oder doch eher der „Headliner-Auftritt beim Noise- Now-Festival am 11. April in der Düsseldorfer Philipshalle (WDR Live-Übertragung)“?

Mann, da scheinen's aber welche nötig zu haben. Die Band, um die es geht, heißt Einstürzende Neubauten, eigentlich ein ganz gut eingeführter Act. Wir befinden uns auf einer dieser Record Release Parties, ohne die in letzter Zeit kein Werklein mehr das Licht der Öffentlichkeit erblicken darf, und entsprechend repräsentativ agieren die Band-Mitglieder: wie Regierungssprecher, die eine nicht ganz koschere Kabinettsumbildung zu vertreten haben. In diesem Sinne hat man sich auch zu einer Art Presseerklärung entschlossen. Sie ist auf herbstfahlem Papier gedruckt und gipfelt in dem klingelnden Passus: „Heute geht die Austauschbarkeit innerer Werte mit der blendenden Hülle des schicken Images eine farblose Liaison ein. Was zählt, sind Schnellebigkeit, anspruchsloser Konsum, vergängliche Trends...“

Ach ja, die Zeitläufte, dieser ganze rasche Wechsel. Tempus fugit. Das gilt natürlich auch für den Prozeß des Einstürzens selbst. Vor 13 Jahren jedenfalls wären Einstürzende Neubauten und „innere Werte“ noch nicht so gut zusammengegangen. Da war es gerade das sogenannte schnelle Leben, mit dem der schnöde konsolidierten Gesamtmafia aus Linksalternativen, Lehrertypen und anderen Langweilern der Krieg ins Haus getragen werden sollte. „Kollaps“ hieß das erste Album, doch es hätte ebenso gut bereits „Tabula Rasa“ heißen können. Motto: „Diese Platte soll unhörbar sein“. Was in etwa zutraf.

Vielleicht wäre es den Neubauten sogar gelungen, nach dem ersten großen Rums wieder spurlos von der Bildfläche zu verschwinden, wäre da nicht dieser Frontman und Sänger gewesen, Blixa Bargeld mit Namen. Der verstand es damals schon, den eher unbedarften Krach monumental und – wie sagt man? – mediagen zu verbrämen. Bargeld hatte Baudrillard, Benjamin und den „Anti- Oedipus“ gelesen, gab philosophische Losungen aus vom rastlosen Stadtnomadentum und vom destruktiven Charakter, der bekanntlich auf die Negation fixiert ist und nur eine Devise kennt: Platz schaffen. Überhaupt war es damals noch einfacher, die westliche Welt symbolisch in Schutt und Asche zu legen – weil sie ja sonst noch einigermaßen heil war. So kalt der Krieg auch sein mochte, für subkulturelle Entwürfe funktionierte er als großes Treibhaus, und Berlin bildete darin ein ebenso künstliches wie kunstfreundliches Biotop.

Schon war das Feuilleton aufmerksam geworden. Eilends entsandte Boten wußten schaudernd von „martialischen Klängen“ zu berichten, von schwarzbelederten jungen Wilden, die enthemmt auf Metallstücken (oder war es sogar Fleisch?) herumhackten; und sie reportierten um so lieber, je offener sie dafür von der Band mit Verachtung gestraft wurden. Noch 1987 sang Bargeld auf der LP „Fünf auf der nach oben offenen Richterskala“ der Welt als solcher in die Fresse: „Will kein Bestandteil sein/nicht von dem was war/da war nichts/nicht von dem, was demnächst kommt/nichts davon/ nichts von dem, was ist/allemal nicht.“

Dabei hatte der Flirt mit dem kulturellen Overground längst begonnen. Während die jungen Maler-Wilden allmählich große Ausstellungen bekamen, gingen die Neubauten ans Theater. Unter der Oberregie von Altprovo Peter Zadek erwerkelten sie die Musik zu dem sozialen Rührstück „Andi“ (nach der Vorlage eines Stern-Reporters), verwursteten mit Heiner Müller zusammen die „Hamletmaschine“ zum Hörspiel und nahmen auch in Einzelprojekten (Schlagzeuger F.M. „Mufti“ Einheit kam allmählich zum Zuge) zielsicher Kurs in Richtung kultureller Olymp. Auf der 89er-LP „Haus der Lüge“ findet sich der phänomenale Satz: „In dieser Höhe, und das ist die Höhe, ist das Klima für geistige Gespräche.“

Das klang schon schwer nach einer Totalfusion von Nietzsche und Goethe, aber immerhin schaffte es die Band noch, die Schwebe zwischen Kunst-U und Pop-E, Gimmick und Tiefsinn einigermaßen zu halten. Wenn Bargeld einen schwerdeutschen Brocken nach dem anderen in den Ausdruck wuchtete, war nie wirklich klar, ob sich auf einer zweiten Ebene nicht alles als ausgemachter Bluff herausstellen würde. „Höre mit Schmerzen“ hieß der Imperativ seit der Frühachtziger-LP „Zeichnungen des Patienten O.T.“, aber auch Kunst-Schizos (die besonders!) sind ja durchtriebene Typen. Sie geben sich gern mal ein bissel durchgeknallt, sind aber sonst ganz in Ordnung. Damit ließ sich leben, und so ein Portiönchen Krankheit zum Tode konnte schließlich niemandem schaden.

Heute scheint der Patient rundum genesen, und das macht gerade seine Krankheit aus. Längst ist das Stadtnomadentum zur Jet- set-Boheme verkommen, und die Sampling-Generation versteht sich ohnehin besser aufs Brachiale. Für den Herbst, hört man, ist eine Zusammenarbeit mit dem neuen Dramatiker-Star Werner Schwab angesagt (das mußte ja kommen!). Alles geht seinen theatralischen Gang. Klar, daß die Neubauten bei der Produktion ihrer neuen Platte in einer Klemme steckten: Man hatte als Punk angefangen, und plötzlich war man nostalgisch-wehes Fin de siècle.

Entsprechend altmeisterlich geht es auf „Tabula Rasa“ zu: Filigranarbeit statt Grobgeschweißtem, Pinseln statt Klotzen. Hie und da wird noch mal auf die Planke gehauen, aber das ist die Ausnahme– Handwerk ist gefragt. So offenkundig der Opener „Die Interimsliebenden“ mit seinem Rumpelfunk-Core auch an aktuelle Dancefloor-Entwicklungen anzuknüpfen versucht, schon beim zweiten Hinhören entpuppt sich das Ganze als braves Stück Klangklöppelei. Für den Titel „Wüste“ wurden sogar echte Streicher angeheuert. Sie geigen getragen daher, stürzen gewagt von Dur nach Moll und verbreiten alles in allem eine Vorstellung davon, wie ein ahnungsloser Kulturbeflissener sich Schönberg vorstellt. Neubauten go Klassiker der Moderne – und klingen dabei doch bloß nach Orffschem Singspielkreis.

Dasselbe bei den Texten. „Hier ist nicht, wonach ich fahndend such/Und ist es nicht nirgends, dann sonstwo...“ („Sie“). Endlich ist der deutsche Faust zu voller Größe erblüht. Bargeld rührt schwer im Sprachschatz des Erhabenen, ihm fallen „kosmische Dimensionen aus dem Mund“, doch es ist nur noch die Komödie des Tiefsinns, die hier gegeben wird: „Trugbild nicht meine Züge, Chimäre aus Tausend Jahren und einer Nacht/verzehrten sich nicht viele/für ihr blendend Sonnenrad der Macht/doch habe ich ihre Trümmerberge/heil hinter mich gebracht“, usw. usf. – ein einziger großer Theaterdonner, in dem das immer schon leicht Gymnasiale an

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Bargelds Reimen zur absoluten Dröhnform aufgelaufen ist.

Wären doch wenigstens die leisen Töne genießbar, die Liebeslieder, von denen es im Beiblatt heißt, sie seien Ausdruck einer neuen „Utopie“ und Hoffnung! Aber nix da: „Laß mich dein Delta durchschwimmen/geneigten Hauptes durchqueren/Laß mich kosten das wahre Salz der Welt/Zungenfisch in deinem See sein/Den Gang der Welt auf allen Vieren/als karnales Schauspiel inszenieren/den Frühling zelebrieren...“ („Zebulon“). Schlechter hätte Ulla Hahn das auch nicht gekonnt. Seltsam, daß Leute, deren Sprachmittel erschöpft sind, am Ende immer bei der „Liebe“ hängenbleiben – als wäre das ein leichter Gegenstand, etwas, worauf man sich zurückziehen kann. Dabei versteht doch, wer nur davon was versteht, auch davon nichts.

„Tabula Rasa“ ist schon ein selten verquastes Kompromißprodukt zwischen Rest-Avantgardeanspruch, Lustlosigkeit, Verzweiflung und Boheme-as-usual. Keine Sekunde glaube ich, daß die Arbeit daran drei Jahre in Anspruch genommen hat. Man hat einfach nur diverse Reste – Auftragsarbeiten für die Theatergruppe La La La Human Steps, für Erich Wonders Performance „Das Auge des Taifun“ in Wien u.a. – auf einen Haufen geschmissen und als LP deklariert, in der Hoffnung, der große Bluff würde noch einmal gelingen.

Ein wenig Mythos zu nippen versuchen

Gelangt hat's aber bloß zu einem Stück Berliner Barock, das immerhin ein Gutes hat: Es treibt diese nunmehr wiedervereinigte Mischung aus Hauptstadt-hype, Subventionsmuff und viel viel Rhetorik derart dreist auf die Spitze, daß man meint, das Ganze müsse über kurz oder lang an seiner eigenen Hohlheit zugrunde gehen. Und in diesem Sinne war – wenngleich ganz anders gemeint – schon richtig, was die Neubauten auf ihrer letzten LP „Haus der Lüge“ verkündeten: „Wenn es nur beschleunigt, was ohnehin vergeht, ist es kein Vergeh'n, durchaus zu versteh'n...“ („Feurio“).

Leider heißt das nicht, daß diese Form der Berlin-Folklore nicht noch eine ganze Weile zu ertragen sein wird, im Gegenteil. Überall in der Stadt kann man die Folgen dieses seltsamen angekommenen Nomadentums studieren, nicht zuletzt auch in der Oranienburger Straße, Berlins neuester Amüsiermeile, wo in pittoresk verwahrlosten Interieurs Studenten auf Edelstahlrostmöbeln hocken und ein wenig Mythos zu nippen versuchen. Aber that's nun mal the way it goes, und, um das noch mal klarzustellen: Wir haben nichts gegen ein Gläschen in gepflegter Atmosphäre, aber den Rausch holt man sich woanders.

Einstürzende Neubauten: „Tabula Rasa“ (Our Choice/Rough Trade). Parallel zu LP und CD erscheinen zwei Maxis namens „Malediction“ und „Interim“, die abweichende Versionen einzelner Stücke, vor allem des Liebeslieds „Blume“, enthalten.