„Fehler aus sauberer Gesinnung heraus“

Der XII. Parteitag der DKP in Mannheim spiegelt ein ungebrochenes Verhältnis zur Historie/ Nur noch knapp 7.000 Mitglieder halten die rote Fahne hoch  ■ Aus Mannheim Klaus-Peter Klingelschmitt

In der größer gewordenen Bundesrepublik Deutschland gibt es eine neue politische Interessenvertretung der Rentner: die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Der dramatische Mitgliederverlust der DKP nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus in Osteuropa und die Auflösung der DDR haben dafür gesorgt, daß die Gruppe der über 60jährigen heute das Gros der Parteimitglieder stellt, wie Vorstandsmitglied Heinz Stehr auf dem XII. Parteitag der im Mai 25 Jahre alt werdenden DKP in Mannheim konstatieren mußte. Von einst 40.000 realen Sozialisten im realen Kapitalismus ist die DKP in den drei Jahren nach dem „Sieg der Konterrevolution in der DDR“ (Stehr) auf unter 7.000 beitragzahlende Mitglieder zusammengeschrumpft. Doch ein Kommunist– da ist sich Stehr sicher – zählt wegen seines Engagements und seiner Opferbereitschaft doppelt und dreifach. Zudem sei das „marxistische Angebot DKP“ auch in den neuen Bundesländern auf „reges Interesse“ gestoßen, sagte Stehr. Exakt 63 Menschen haben sich dort das rote Parteibuch aushändigen lassen.

„Die Zukunft gehört dem Sozialismus“

„Umdenken Mister, umdenken Mister/ Und zwar schnell, und zwar radikal!“ (Franz-Josef Degenhardt) war in Mannheim ohnehin nicht angesagt. Stehr: „Wir halten fest am Sozialismus mit der Perspektive des Kommunismus.“ Der Altkommunist Peter Gingold hatte in seiner Begrüßungsrede zum Parteitagsauftakt am Sonnabend den knapp 200 Delegierten bereits die politische Absolution erteilt und die Minderheit der Kritiker der offiziellen Parteilinie in die Schranken gewiesen: „Die Zukunft gehört nach wie vor dem Sozialismus. Und wo wir in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, haben wir sie aus sauberer, ehrlicher kommunistischer Gesinnung heraus gemacht.“

Nicht ganz so nobel wie im Sprichwort geht die realsozialistische Welt im Westen zugrunde. Über 100.000 DM an Spendengeldern mußten die letzten Mitglieder der angeblich einzigen Partei, die auf deutschem Boden noch an den „Grundpositionen der marxistischen Theorie“ festhält, aufbringen, damit der XII. Parteitag im vornehmen Mannheimer Rosengarten überhaupt stattfinden konnte. Für die fliegenden Devotionalienhändler im Foyer des Rosengartens war der Verkauf von Orden und Ehrenzeichen der untergegangenen Republik von Ulbricht und Honecker kein Akt der Blasphemie. Schließlich, so ein Flohmarktbeschicker aus „Ostberlin“, kämen „diese Dinge“ hier in die richtigen Hände. Stolz trugen die letzten Spartakisten denn auch ihre T-Shirts mit dem Hammer- und-Zirkel-Emblem aus „besseren Zeiten“, als die Kassen der DKP noch von Pankow aus aufgefüllt wurden. Und als wäre die Zeit vor Jahren stehengeblieben, bogen sich die Büchertische unter den blauen MEW-Bänden, unter Lenins gesammelten Werken und den in Schweinsleder gebundenen Reden des letzten Staatsratsvorsitzenden.

„Der alte, immer neue Klassenkampf“

„Wir freuen uns über die Freiheit von Erich Honecker und fordern die Einstellung aller politischen Prozesse“, sagte Stehr in seinem Grundsatzreferat unter dem tosenden Applaus des Auditoriums. „Marx sei Dank“, so Stehr, lerne die Arbeiterklasse im Osten zu kämpfen. Und auch im Westen eröffne die Krise des Kapitalismus, die – „nach Lenins Imperialismustheorie“ – im Grunde der „alte, immer neue Klassenkampf der Herrschenden und Besitzenden gegen die Arbeiterklasse“ sei, einer kommunistischen Partei neue Perspektiven. Bündnisse gegen das Kapital wollen sie bis zum XIII. Parteitag schmieden – mit Gewerkschaften und außerparlamentarischen Initiativen, mit streikbereiten Belegschaften der in ihrer Existenz bedrohten Ostbetriebe und auf der kommunalen Ebene auch mit anderen „fortschrittlichen Kräften“. Auf offenen Listen sollen die Kommunisten wieder vor Ort kandidieren und so den Boden bereiten für die „revolutionäre Überwindung des Kapitalismus“ (Stehr).

Doch ganz so glatt, wie von Stehr und der Mehrheit des nach (gescheitertem) grünen Vorbild auf dem XI. Parteitag gewählten SprecherInnenrates geplant, ging der „Erneuerungsparteitag“ dann doch nicht über die mit rotem Tuch bespannte Vorstandstribüne. Es war die parteiintern als „Dissidentin“ gehandelte Vorstandsfrau Helga Rosenberg, die zum Ärger von Stehr vor allem das scheinbar ungebrochene Verhältnis der führenden DKPisten zur Historie problematisierte. Rosenberg propagierte die „klassenlose Gesellschaft auf der Basis des Gemeineigentums“ und forderte den Bruch mit den „Scheinwahrheiten“: „Noch immer wird von unserer Parteiführung die Freundschaft mit der Sowjetunion und der DDR als historische Großtat gewürdigt. Aber das waren doch keine Gesellschaften, die wir uns heute zum Vorbild nehmen können. Die Entfaltung der Demokratie jedenfalls hat dort nicht stattgefunden.“ Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, legte Rosenberg, deren Redezeit auf acht Minuten begrenzt war, während ihr Kontrahent Stehr mehr als eine Stunde sprechen durfte, ihr politisches Credo offen: „Die Diktatur des Proletariats – das ist die höchste Entfaltungsform breitester Demokratie!“ Die Absicht der Mehrheit der DKP-Führung, mit der reformistischen PDS-Spitze ins Gespräch zu kommen und „Aktionseinheiten“ (Stehr) herzustellen, wurde von Rosenberg denn auch als „Versuch der Sozialdemokratisierung einer kommunistischen Partei“ kritisiert.

Doch die überwältigende Mehrheit der Parteitagsdelegierten segnete den von der Mehrheit des Parteivorstandes vorgestellten „Vierjahresplan“ bis zum XIII. Parteitag ab. Schließlich hat die Partei(-Führung) noch immer recht. Und Linienstreitigkeiten, so war beim Mittagstisch zu hören, könne man sich heute leider nicht mehr leisten. Der Hallenmeister im Rosengarten hatte da schon das Band mit der Endzeitmusik eingelegt: „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss.