Heiner Müller und die Staatssicherheit

War der Dramatiker aus der DDR Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi?/ Müller bestätigt Kontakte/ „Ich wußte, ich rede nicht mit der Heilsarmee“/ Kratzen an einer Kultfigur  ■ Aus Berlin Thomas Groß

Der Dramatiker und frühere Präsident der Berliner Akademie der Künste (Ost), Heiner Müller, hat zugegeben, regelmäßige Kontakte zu Offizieren des Ministeriums für Staatssicherheit gehabt zu haben. „Ich habe versucht, zu beraten und Einfluß zu nehmen auf Dinge, weil, es war ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr möglich, mit Parteifunktionären vernünftig zu reden“, sagte Müller am Sonntag abend in einem Interview mit „Spiegel TV“. „Ich wußte, ich rede nicht mit der Heilsarmee“, aber ein Stasi-Offizier habe schließlich „mehr über die wirkliche Lage gewußt als ein Parteifunktionär, der seinen Nachtschlaf nur noch zustande brachte, indem er sich Illusionen machte.“ Nach Informationen von „Spiegel TV“ soll Müller nach einer Vorlaufphase, in der er unter dem Decknamen „Zement“ registriert war, von der Stasi als Inoffizieller Mitarbeiter „Heiner“ geführt worden sein. Er, Müller, stehe zu allem, was er gesagt und getan habe: „Ich kann aber zu nichts stehen, was in irgendwelchen Akten steht, solange ich es nicht kenne.“

Die Argumentation, mit der Müller seine Stasi-Mitarbeit begründet, setzt eine ästhetische Leitlinie seines gesamten Werks fort: die Wirklichkeit als Material für die Produktion von Stücken zu betrachten, ohne dabei moralisch- engagierte Positionen zu beziehen oder gar eingreifen zu wollen. „Der Aufenthalt in der DDR war in erster Linie ein Aufenthalt in einem Material“, lautet ein Kernsatz aus der im letzten Herbst erschienenen Autobiographie „Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen“.

Im Interview mit „Spiegel TV“ heißt es ganz ähnlich: „Das war die Situation. Ich habe da überhaupt nie ein moralisches Problem drin gesehen, sehe ich auch heute nicht [...]. Mich hatte natürlich auch interessiert, dieses Warnsystem, mich hat dies auch interessiert als Autor, dieses Material. Wie funktionieren solche Gehirne und solche Apparate? Das, will ich zugeben, war auch eine Neugier.“ Es sei klar gewesen, mit Paranoikern zu sprechen, doch, so die dialektische Volte: nach Anerkennung dieser Sachlage seien Stasi-Funktionäre die realistischsten Ansprechpartner gewesen: „Da war es möglich, vernünftig zu reden.“

Müller, der 1986 mit dem Nationalpreis 1.Klasse der DDR ausgezeichnet worden war, verwahrte sich präventiv gegen den Vorwurf, bei seinen Kontakten möglicherweise opportunistisch oder im Sinne der Parteileitlinien gehandelt zu haben: „Ich hatte nie eine staatliche Funktion in der DDR wie z.B. Hermann Kant, der natürlich über seine Funktion immer Kontakt haben mußte. [...] Ich habe keinen Orden bekommen außer dem Nationalpreis. Der wurde nicht von der Staatssicherheit verliehen. Und vorher war ich mal, ich glaube Aktivist. Und das war in jedem Betrieb normal, wenn man fünf Jahre da war.“ In einer Situation, in der die „Auslöschung von DDR-Geschichte“ betrieben werde, sei seine Selbstanzeige zwar ein „guter Schritt“, das Reden darüber jedoch nach wie vor „ganz schwer“.

Müllers Selbstanzeige belastet nicht nur einen prominenten Dramatiker, sie kratzt auch an der Aura einer Kultfigur. „Heiner le Diable“ (Peter Hacks) war ein intellektueller Star weit über die Grenzen der ehemaligen DDR hinaus — fast so etwas wie ein gesamtdeutscher Export-Artikel in Sachen fortgeschrittener Ästhetik, Vernunftkritik und Geschichtsphilosophie. „Ein großer Einsamer auf weiter deutscher Flur“, dichtete die Zeitschrift Deutsche Bühne anläßlich der weithin beachteten Autobiographie und hielt Müller zugute, „kein Jammerlappen realsozialistischer Nostalgie“ zu sein. Beileibe kein Einzelfall.

Der Spiegel sprach im Hinblick auf Müllers Geschichtsbild fast schon zärtlich von einem „Katastrophenliebhaber“, die Einstürzenden Neubauten nahmen die „Hamletmaschine“, Müllers wohl berühmtesten Text (FAZ: „ein Mysterienspiel der 80er Jahre“) als rumpelndes und raunendes Hörspiel auf, die Theater überboten sich in Müller-Inszenierungen bis hin zu regelrechten Müller-Marathons. Fritz J. Raddatz lobte in einer längeren Eloge immerhin die „metallfedernde dialektische Sprache“ des Dramatikers. Es war der „Sound des Erhabenen“ (taz), der Müller zum intellektuellen Pop-Star machte, und ganz sicher wird man bei zukünftigen Lektüren genauer auf die Hintergrundgeräusche achten müssen.

In den letzten Jahren war Heiner Müllers ästhetische Produktion allerdings — von der auf Tonband gesprochenen und vom Lektor zusammengestellten Autobiographie einmal abgesehen — gleich Null.

In Interviews sprach er von Schreibblockaden und einer historischen Situation, die sich ungünstig auf die Produktion von Theaterstücken auswirke. Statt dessen engagierte sich Müller als Präsident der Berliner Akademie der Künste (Ost) und Sachwalter eines besseren DDR-Erbes, darin lautstark unterstützt von seinem West- Kollegen Walter Jens.

Für öffentliche Erregung sorgte zuletzt Jens' von Heiner Müller unterstützter Vorschlag der En-bloc- Übernahme aller Ost-Akademie- Mitglieder in die neue gesamtdeutsche Organisation. Eine kleine Austrittswelle war das Resultat, so daß die Akademie beinahe auf toten Gäulen in die Vereinigung ritt.

„Wir schießen alle aus der Hüfte, und etwas auszurichten heißt in der Kunst, etwas hinzurichten, zuerst sich selber“, schrieb Müller 1979 lakonisch. Im Gegensatz zu seiner neuen Rolle als Amtsinhaber und Sachwalter des DDR-Erbes, zu seiner stets heiter- freundlichen und gelassenen Bereitschaft, in Talkshows und Magazinen diversester Art aufzutreten und mitzureden, stand in den letzten Jahren ein noch stärkerer Rückzug in die Rolle eines chinesischen Weisen brechtscher Machart.

Auf Fragen von Interviewpartnern pflegte Müller gerne mit verschlüsselten und parabelhaften Geschichten zu antworten, die sich heute allerdings – wie schon viele Statements Sascha Andersons — zweideutig lesen.

Auf die Frage etwa, warum er sich nach dem Ende der DDR, anders als Christa Wolf oder Christoph Hein, nicht zurückgezogen, sondern im Gegenteil eine neue Rolle als öffentliche Person angetreten habe, antwortete Müller der österreichischen Zeitschrift profil gegenüber mit einer Keuner-Geschichte über Katzen: „Herr Keuner konnte Katzen nicht ausstehen, aber als er eine an der Türe hörte, hat er ihr geöffnet. Man fragte ihn, warum. Sie hat gerufen, sagte Herr Keuner.“