Debatte
: Aus gutem Pazifismus andere sterben lassen?

■ Zur Frage einer militärischen Intervention für Bosnien

DEBATTE

Aus gutem Pazifismus

andere sterben lassen?

Zur Frage einer militärischen Intervention für Bosnien

Die Position von Ralf Fücks zum Krieg in Bosnien hat in verschiedenen Kreisen eine Lawine der Empörung ausgelöst. Die Kritik gipfelt in dem Vorwurf, Fücks sein ein Bellizist, ein Kriegstreiber im grünen Gewande (Christian Girschner, taz v. 9.1.). In einer Sprache, deren semantische Aggressivität und Militanz auffallen, unterstellt er Fücks rein instrumentelle Machtambitionen für dessen Position. Als ob nicht unabhängig von solchen vermeintlichen Motiven ganz unterschiedliche Leute - wie z.B. Rupert Neudeck - die Notwendigkeit einer militärische Intervention in Bosnien nicht länger ausschließen wollen. Vollkommen unglaubwürdig ist der pseudopazifistische Gesinnungsaufschrei derjenigen, die früher keine Probleme mit gerechten, weil „revolutionären“ Kriegen hatten, wie z.B. Ernst Busche, der noch vor gar nicht allzu langer Zeit die sowjetische Hochrüstung verteidigt und den sowjetischen Aggressionskrieg in Afghanistan beschwiegen hat.

Ich habe Respekt vor all denjenigen, die aus individueller Überzeugung jede Form von militärischer Gewaltanwendung ablehnen und dafür nicht zur Verfügung stehen wollen. Aber es ist eine Illusion zu glauben, daß man als pazifistischer Zuschauer seine Unschuld behält, während die serbische Tötungsmaschinerie weitermordet.

Die perverse Logik des Gleichgewichts des Schreckens hat tatsächlich in Europa für einige Jahrzehnte regionale Kriege verhindert. Aber nach der Auflösung des sowjetischen Imperiums sind ethnisch und nationalistisch aufgeladene militärische Auseinandersetzungen auch in Europa wieder möglich geworden. Diese neue Situation verlangt auch von der Friedensbewegung neues Nachdenken über Mittel und Wege der Verhinderung, aber auch der Beendigung regionaler militärischer Konflikte. Was soll man tun, wenn sich bewaffnete Brandstifter nicht an die Regeln einer friedlichen Weltordnung halten? Die Antwort eines Teils der Friedensbewegung sind scheinheilig, wenn es heißt: Waffenexporte stoppen. Die serbische Armee und die von ihr ausgehaltenen Tschetniks sitzen auf einem ganzen Arsenal von Waffen aus vergangenen Zeiten. Militärische Gewaltandrohung und -anwendung sind immer die schlechteste aller Alternativen, aber sie sind in bestimmten historischen Situationen die einzige Alternative, die bleibt, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Verhandlungen, Ultimaten, Drohungen und erst recht Demonstrationen und Protestunterschriften haben sich als wirkungslos gegenüber der Dreistigkeit und Entschlossenheit der serbischen Kriegsführung erwiesen. In dieser Situation wird man dadurch, daß man nicht alle Optionen ins Kalkül zieht, mitschuldig am Sterben und Leiden der bosnischen Bevölkerung. Leute wie Rupert Neudeck, der sicherlich ganz unverdächtig ist, ein „Kriegstreiber“ zu sein, haben das im Gegensatz zur ideologischen Gesinnungsfraktion in der Friedensbewegung längst begriffen.

Lothar Probst