■ Gastkommentar
: Kein Fünkchen Solidarität

Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst laufen nach dem Muster struktureller Komplizenschaft: Öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften passen sich den veränderten gesamtökonomischen Rahmenbedingungen an, stecken zurück und kommen jetzt vermutlich auf ein Mehr von 3,2Prozent im öffentlichen Dienst. Es dröhnt dann nach Verantwortlichkeit, noch gerade vertretbarem Kompromiß, möglicherweise nach einem Hauch von Solidarpakt.

Wer die dramatischen Umbruchsituationen in der Gesellschaft beschreibt, aber davon in der Struktur der Tarifverhandlungen fast nichts spürt, muß die Ignoranz der händchenhaltenden Tarifpartner schon bewundern. Hätte es gerade nach den neuesten Zahlen zur Arbeitslosigkeit nicht nahe gelegen, drei Prozent für West und ein Prozent Solidarbeitrag für mehr Arbeitsplätze in Ostdeutschland zu fordern? Wo bleiben die öffentlichen Arbeitgeber Engholm, Lafontaine und Rau, die sich oft vehement für Solidarbeiträge eingesetzt haben? Wo ist die Courage, im höheren Dienst Gehaltseinbußen zu fordern – das könnte mit Sicherheit zu cirka 50.000 neuen Arbeitsplätzen umgesetzt werden. Daß alles das bei öffentlichen Arbeitgebern und den Gewerkschaften noch nicht einmal ernsthaft diskutiert wird, gehört zur kompletten Verluderung demokratischer Verhandlungskultur und zynischer Unsolidarität. Peter Grottian

Der Autor ist Profesor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.