Kreativ auch außer Haus

■ Ortsbesichtigung: Das Kreativhaus der „Landesgemeinschaft Spiel und Theater e.V“

Das Haus in der Wolliner Straße Nr. 18-19 liegt dicht an einer der Schnittstellen zwischen Ost und West. Nur ein paar Minuten entfernt verläuft die ehemalige Grenze – drei Jahre nach der Maueröffnung ist ihr Verlauf auch hier nur noch zu ahnen. Die Wohngegend ist trist, schmucklose Altneubauten auf der Westseite, heruntergekommene Gründerzeithäuser im früheren Osten.

Am verwitterten Tor, das in den Hinterhof führt, hängt ein unscheinbares Schild: „Landesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater e.V., Kreativhaus, Aufgang A,B,D.“ Ich entscheide mich für A und gerate in einen dunklen verdreckten Treppenaufgang. Besonders kreativ sieht es hier erst einmal nicht aus. Um so größer ist meine Überraschung, als ich im ersten Stock eine Tür finde, die mich in einen hellen großen Raum führt. Ein Billardtisch, ein Flügel – später sehe ich, daß es ein echter Bechstein ist – eine lange Tafel mit gepolsterten Stühlen. Über allem schwebt ein riesiger bunter Drachen, und es riecht einladend nach frisch gebrühtem Kaffee.

Der wird mir von Frank Grünert, einem der Mitarbeiter des Hauses, kurze Zeit später kredenzt, auf unseren Tassen prangt das Logo des Palastes der Republik. Grünert bemerkt mein nur schwer unterdrücktes Grinsen: „Uns hat die Schließung des Palastes sehr viel genutzt“, erklärt er, „die Hälfte unseres Inventars haben wir aus den Palastbeständen übernehmen können.“ Schlecht ausgerüstet ist das Kreativhaus wahrlich nicht. Eine ganze Fabriketage steht dem Verein zur Verfügung, in einer halbjährigen Renovierungsphase wurden eine Bühne, ein Bewegungsraum, ein Tonstudio und verschiedene Büros und technische Arbeitsräume eingebaut. 48 Männer und Frauen – bis zum Frühjahr 1993 durch ABM finanziert – arbeiten hier, sie kommen aus unterschiedlichsten Bereichen: Musiker sind darunter, Schauspielerinnen, eine Opernsängerin, eine Tänzerin, Dramaturginnen, aber auch Handwerker verschiedener Berufe.

Mein Gesprächspartner Frank Grünert ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er hatte zu DDR- Zeiten eine Ausbildung als Sozialdiakon absolviert. Durch Mitarbeit in freien Gruppen nach der Grenzöffnung ergaben sich Kontakte zur Landesarbeitsgemeinschaft Theater und Spiel e.V., deren Traum es schon seit Jahren war, ein theaterpädagogisches Zentrum zu gründen. Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der damit verbundenen Sachmittelfinanzierung durch den Senat konnte das Kretivhaus vor zwei Monaten seine Pforten öffnen.

Drei „Standbeine“ nennt Grünert für die Arbeit in diesen Räumen. Da gibt es zunächst die bereits etablierte Vereinsarbeit. Seit Jahren schon bietet die LAG Ferienkurse und Wochenend-Workshops an, in denen die Teilnehmer ihre theaterpädagogischen Fähigkeiten und Erfahrungen erproben und austauschen können. Diese Kurse wurden früher in der HdK abgehalten und waren immer sehr gut besucht. Seit dem Umzug in die Wolliner Straße hat das Interesse nun merklich nachgelassen. Offensichtlich ist die Schwellenangst, den Ostteil zu betreten, immer noch – oder schon wieder – sehr groß. Die Mitarbeiter sehen in der wachsenden Ausländerfeindlichkeit in den neuen Ländern und Ostberlin den Hauptgrund.

Des weiteren fühlen sich Grünert und sein Team für den Bereich der Jugendkulturarbeit verantwortlich. Sehr umstritten war ein im September veranstalteter Jugendkulturtag, zu dem S-Bahnsurfer, Autoknacker und Hausbesetzer eingeladen waren. Den jungen Autodieben war sogar Geld und eine Kameraausrüstung zur Verfügung gestellt worden, sie sollten sich selbst beim Autodiebstahl filmen. Von verschiedenen Seiten wurde das Projekt heftig kritisiert, das am Ende der Veranstaltung das Video gezeigt hatte. Grünerts verteidigt auch im Rückblick noch die Aktion: „Die knacken die Autos so oder so, das ist doch ein Anfang, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“ Zugegebenermaßen war die Bereitschaft der Kids zu filmen doch größer als die, zu ihrem Handeln Stellung zu nehmen: Ein aufarbeitendes Gespräch fand in seiner geplanten Form nicht mehr statt.

Am stärksten nach außen wirkt das Kreativhaus im Moment durch seine vier mobilen Teams, die interdisziplinär zusammengesetzt sind und mit Kindern unterschiedlicher Altersstufen zusammenarbeiten. Ein Team beschäftigt sich mit Hörspiel im weitesten Sinne. Die Mitarbeiter erfinden mit Kindern zwischen acht und zwölf Geschichten, die sie selbst spielen und mit selbst aufgenommenen oder im Tonstudio erzeugten Geräuschen abmischen. Eine zweite Gruppe arbeitet mit Vorschulkindern, ihnen werden Märchen gezeigt, in denen die Phantasie der Zuschauer durch Mitspielen angeregt werden soll. Diese Gruppe arbeitet gerade an ihrem zweiten Projekt: „Zottelhaube“ heißt die Inszenierung eines skandinavischen Märchens, die am 13. Januar um 10 Uhr im Kreativhaus Premiere haben wird. Später soll das Stück auch in Vorschulen und Kindergärten gezeigt werden.

Die dritte Gruppe lädt ins Kino „Babylon“ zu einem Film-Spiel ein. Die Kinder sehen gemeinsam einen Film, der an einer bestimmten Stelle abgebrochen wird. Nun muß er gemeinsam zu Ende gespielt werden. Dazu regen Kostüme und Requisiten an, die aus der hauseigenen Werkstatt der Wolliner Straße stammen. Das vierte Team wendet sich an theaterinteressierte Gymnasiasten. Nach einer ersten Phase des Kennenlernens soll den Kids schauspielerisches Handwerk vermittelt werden, das in Improvisationen und Stückinszenierungen angewendet werden kann.

Alle Projekte des Kreativhauses befinden sich noch in der Aufbauphase. Da die Finanzierung bislang nur für die kommenden drei Monate gesichert ist, bemühen sich die Vorstandsmitglieder jetzt um eine Verlängerung der ABM-Stellen für ein weiteres Jahr. Vermutlich muß es dann möglich sein, das Haus mit weit weniger Mtarbeitern zu führen. Eine Weiterarbeit ist allen Beteiligten zu wünschen, denn ein Konzept wie dieses, das Lebensräume von Kindern und Jugendlichen erweitern will, Reflexionen durch Theaterspiel anregt und mit Hilfe kompetenter Fachkräfte umsetzt, ist in Berlin und im Land Brandenburg ohne Beispiel. Sibylle Burkert

Kreativhaus, Wolliner Straße 18-19, täglich geöffnet. Informationen unter 2384873