Vom Staat zum Sammler

Museumsgestaltung und Sammlungen im deutschen Kaiserreich

Es war der siebziger Krieg, der den Deutschen einen Kaiser, ein Reich und last not least eine Reichshauptstadt bescherte – und einen Haufen Geld dazu. Der fehlte dann dem Kriegsgegner Frankreich, und die französische Bourgeoisie wie der französische Adel waren unter anderem gezwungen, ihre Kunstschätze zu veräußern. Das paßte den Deutschen gut, denn so ließen sich im Kaiserreich große Kunstsammlungen von privater und vor allem öffentlicher Hand begründen, die der neuen politischen Rolle und dem politischen Ehrgeiz der wilhelminischen Epoche genau das kulturelle Outfit verpaßten, nach dem es Aufsteigern so sehr verlangt. Sinnigerweise war Amerika zur gleichen Zeit Konkurrent in gleicher Sache.

Diese Geschichte erzählt Thomas Gaehtgens, Kunsthistoriker an der FU Berlin, in einem seriösen Buch über die Berliner Museumsinsel als Gesamtkunstwerk kulturpolitischer Ambitionen des deutschen Kaiserreichs. Die in diesem Band vereinigten Aufsätze lassen die Erweiterung und die Präsentation der Sammlungen auf Weltniveau als ein relativ unproblematisches Unternehmen erscheinen. Vorgestellt wird ein repräsentatives Kunstsammeln, das Kunst, wie im Zeitalter des Historismus üblich, nur als im weitesten Sinne „klassische“ kennt. Bruchlos fügten sich die erworbenen Stücke in die kulturpolitisch insgesamt konservative und staatstragende Sammlungs- und Museumsgeschichte des Wilhelminismus ein.

Wilhelminismus

Gaehtgens bietet eine detail- und kenntnisreiche Fülle von Aspekten, die für viele Deutungen offen sind. Am interessantesten für die gegenwärtige Diskussion um den „Wiederaufbau der Museen und die Wiedervereinigung der Sammlungen nach vier Jahrzehnten der politischen und kulturellen Trennung“ ist dabei zweifellos der Aufsatz über das Pergamonmuseum. Gerade weil er über die Zeitspanne des Wilhelminismus hinausgeht, werden die schon dort vorhandenen Brüche, die Gaehtgens sonst eher antippt, sichtbar. Die Rolle wird deutlich, die der wissenschaftlich geschulte Kunstsammler Bode in der Planung und Ausführung der Museumsinselanlage spielte.

Neben dem Raumbedarf für die mesopotamische und griechisch- römische Kunst, sagte Bode in seiner Denkschrift, „erscheint mir endlich ein neues Museum für ältere deutsche Kunst auch aus nationalen Gründen eine Pflicht“. Davon erhofft er sich, daß es „durch die Erkenntnis der deutschen Eigenart zugleich zur Läuterung und Förderung unserer modernen Kunst beitragen, sie anregen und veredeln helfen“ würde. Das könnte O-Ton Wilhelm II. sein. Dazu paßt, daß Bode – wie im Kapitel über das Kaiser-Friedrich- Museum anklingt – die dynastische Selbstdarstellung Wilhelms völlig mitgetragen zu haben scheint.

Wurden Bodes Museumskonzeptionen im Jahr 1904 noch wenig kritisiert, so gerät er in den zwanziger Jahren in Konflikt mit dem Architekten Ludwig Hoffmann, der nach Alfred Messels Tod den Bau fortführt, und ebenso mit dem Archäologen Theodor Wiegand, der das Markttor von Milet hatte nach Berlin schaffen lassen und für dieses monumentale Werk entsprechenden Raum beanspruchte. Im sogenannten „Museumskrieg“ warf Bode Hoffmann und Wiegand Monumentalismus vor, während Hoffmann Bodes Stilräume, die eine historisch „richtige“ Umgebung für die Kunstwerke schaffen wollten, als stimmungshafte Inszenierungen verwarf.

Föderale Kritik

Der Zusammenstellung der Sammlungen, die nach Gaehtgens einen „maßlosen kulturellen Anspruch und nationalistischen Übermut“ dokumentieren, wird in der Weimarer Zeit eine zwar ebenfalls monumentale, aber kühle Architektur entgegengesetzt, für die eine nationalistische Kunstinszenierung keinen Sinn mehr machte. „Das teuerste Museum der Welt, das Museum der größten Säle, dabei das jüngste Museum der Welt... ist alles in allem ein Museum, das an keiner Stelle in keinem Punkt irgendeinen Fortschritt im Museumswesen bedeutet.“ So Adolf Behne bei der Eröffnung 1930.

Aber auch aus den anderen deutschen Ländern kam Widerstand, insbesondere die Bayern fürchteten, daß ihre Kunstschätze für Berlin geplündert werden sollten. Die föderalen Konflikte oder auch die Chancen, die das Kunstsammeln im deutschen Kaiserreich mitbestimmten, wurden durch die Gleichsetzung des Reichs mit der preußischen Krone leider zu wenig berücksichtigt. So wurde zwar der Konflikt um Hugo von Tschudi, den Direktor der Berliner Nationalgalerie, erwähnt, der sich als Vorkämpfer der Moderne profilierte und 1909 von Wilhelm II. entlassen wurde, nicht aber, daß er anschließend als Museumsdirektor nach München ging, um dort allerdings moderne Kunst zu sammeln.

Wie stark schließlich der Einfluß des preußischen Herrscherhauses gewesen ist, das nachzuholen gedachte, was historisch längst überholt war: nämlich eine dynastische Sammlung von Rang, und so den Museumsboom in Berlin bedingte, wird im Kapitel über „Die Museumsinsel in Berlin“ deutlich.

Auch hier wird die Problematik dann faßbarer, wenn über den engeren thematischen Rahmen hinaus argumentiert wird: In diesem Fall, wenn das Völkerkundemuseum und das Kunstgewerbemuseum in die Betrachtung einbezogen werden. Für die politischen Implikationen wilhelminischen Sammelns jedenfalls sind diese Museumskonzeptionen aussagekräftiger als die fünf Museen auf der Spreeinsel. Der damalige Streit unter Kunsthistorikern und Ethnologen um die Aufteilung der außereuropäischen Artefakte flammt heute wieder auf, wobei nach Gaehtgens die Kunsthistorikerseite eine konservative Trennung zu bevorzugen scheint, die den Kontext zugunsten eines Horts hoher Kunst abwertet.

Gaehtgens selbst scheint dieser reinen Lehre gegenüber skeptisch zu sein, wie sein Buch überhaupt insgeheim eine Abrechnung mit der Museumsidee ist. Man bekommt den Eindruck, das Museum als Bildungsinstitution wie als Unterhaltungspark sei ihm gleichermaßen fraglich.

In seiner Schlußbetrachtung zeigt sich Gaehtgens problembewußt, aber er problematisiert nicht wirklich. Stellvertretend läßt er Valéry und Proust das Pro und Contra der Museumsidee diskutieren. Es mag zwar so scheinen, als ob sie als contemporains des deutschen Kaiserreiches an richtiger Stelle zu Rate gezogen werden, aber völlig überzeugend ist diese Montage nicht. Valérys Argumente wie die Prousts werden relativ kontextlos eingeführt, sind eher generalisierend als spezifizierend. Valérys Annahme, daß es eigentlich barbarisch, wenig kultur- und selbstbewußt sei, Sammlungen und Museen einzurichten, wird von Gaehtgens auf das Sammeln im Kaiserreich verengt, das die zeitgenössische Kunstproduktion ausschloß und vernachlässigte.

Heute allerdings macht genau dies nicht mehr die Problematik des Museums aus. Der Kampfplatz um die Reputation von Museen, Kuratoren, Sammlern, Städten und Ländern ist heute das Feld der modernen und zeitgenössischen Kunst. Insofern sind es vermutlich strukturell tieferreichende Anlässe, die das moderne Sammeln bestimmen. Gaehtgens schreibt, „es wäre eine eigene Untersuchung wert, die enge Verflechtung von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft im einzelnen zu durchleuchten“, da es als sicher gelten könne, „daß es sich um eine für alle Beteiligten höchst profitable Verbindung und Partnerschaft handelte“. Zu seinem Buch aber fehlt, wenn nicht diese Untersuchung selbst, so doch der gründlichere Blick auf Anmaßungen der Wissenschaft und der Kulturinstitutionen samt Personal, um auch die heutigen Interessenlagen bezüglich der Museumsinsel besser zu verstehen. Brigitte Werneburg

Thomas W. Gaehtgens: Die Berliner Museumsinsel im Deutschen Kaiserreich. Zur Kulturpolitik in der wilhelminischen Epoche. 144 Seiten, brosch. Deutscher Kunstverlag, München 1992, 24,80 DM