Nachschlag

■ Weihnachtliches mit russischer Seele im Theaterforum

Wohlige Wärme, Kerzenlicht und traurig anmutende Klänge empfangen die Besucher im Foyer des Theaterforums Kreuzberg. Stünde statt der Kaffeemaschine jetzt noch ein Samowar hinter dem Tresen, man käme sich vor wie in einer russischen Teestube. Zwei Stände sind aufgebaut, hinter denen Männer und Frauen in prächtigen bunten Kostümen fremdartige Musikinstrumente und russisches Spielzeug verkaufen. Weder die Babuschka mit den in ihrem Bauch versteckten Töchtern fehlt, noch die geschnitzte Kirche mit den Zwiebeltürmen oder die uns Westeuropäer so kitschig anmutenden bunten Heiligenbilder. Besonders die Kinder sind begeistert. Mit großen Augen stehen sie vor den beladenen Tischen. Und da die Preise niedrig sind, können die Verkäufer mit ihrem Umsatz ganz zufrieden sein. Das merkantile Treiben verzögert den Anfang der Vorstellung. Als ich einen der Musikanten frage, wann sie denn begönnen, bekomme ich von ihm mit lächelndem Gesicht jene Antwort, die in Rußland immer zu hören ist, wenn irgendetwas nicht plangemäß eintritt: „Wsjo budjet“ – wird schon noch!

Und irgendwann wird's dann wirklich. Im ersten Teil des weihnachtlichen Nachmittags musizieren die Männer des Moskauer Folklore-Ensembles auf hierzulande ungewohnten Instrumenten. Die Töne, die sie den Hirtenhörnern, Schalmeien, Kalijuki – einem primitiven Blasinstrument – und dem Gudok, einer Geige ähnlich, entlocken, scheinen den ganzen Raum auszufüllen. Einfache, sich immer wiederholende Tonfolgen begleiten die Gesänge, die uns mit unbeweglich ernsten Gesichtern vorgetragen werden. Aus längst vergangener Zeit tauchen diese Lieder auf, und obwohl die meisten Zuhörer die russischen Worte nicht verstehen, enthüllt sich auf wundersame Weise ihr Sinn. Von Liebe singen die Männer, von der Natur, vom Kampf. Die Musik macht traurig, sie nimmt alle in diesem Raum gefangen.

Nach der Pause, in der auch im Vorraum weitergesungen und gespielt wird, ist im Saal eine zweistockige Puppenbühne aufgebaut, deren Spielflächen mit goldbrokatenen Vorhängen zu öffnen und wieder zu schließen sind. Drei Frauen in bodenlangen bunten Kleidern und bestickten Kopftüchern begleiten das Puppenspiel mit a-capella-Gesängen. Handgeschnitzte Stabpuppen werden auf den winzigen Bühnen, die mit Kerzen ausgeleuchtet sind, hin- und herbewegt. „Wertep“, die Legende von König Herodes, der alle kleinen Kinder in Betlehem töten wollte, und Rachel, die als einzige den König um Gnade für ihr Kind anflehte, geht auf ein altrussisches Mysterienspiel zurück. Die Vorgänge sind einfach gebaut. Wieder sind die Worte unverständlich, faszinieren jedoch durch ihren Klang. Die sprichwörtliche russische Seele liegt in allen Darbietungen bloß. Wer sich darauf einläßt, wird einen besinnlichen Nachmittag erleben. Sibylle Burkert

Bis 3.1., 16 Uhr, Theaterforum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21