Der untote Nazi-Verbrecher

■ Neues Berichte über den Tod Alois Brunners in Syrien

Berlin (taz) – Über das Schicksal des Nazi-Verbrechers Alois Brunner herrscht Rätselraten. Die Monatsschrift Lettre d'Orient meldete am Freitag, der achtzigjährige Brunner sei bereits im Sommer in Syrien gestorben. Der persönliche Sekretär Adolf Eichmanns, der für den Tod von mindestens 120.000 Juden verantwortlich ist, lebt seit über 30 Jahren unter den Namen Dr. Georg Fischer oder Fescoer in Syrien. Grundlage für den Bericht seien „diplomatische Quellen in Damaskus“.

Der gebürtige Österreicher war unter anderem Kommandant des berüchtigten Durchgangs-KZs Drancy bei Paris. Zwei französische Militärgerichte verurteilten ihn in Abwesenheit zum Tode. Doch dem Massenmörder, den Eichmann als seinen „besten Mann“ bezeichnete, gelang die Flucht über Ägypten nach Damaskus. Dort soll er beim Aufbau der syrischen Geheimdienste mitgeholfen haben. Verschiedene Hinweise ließen in den letzten Jahren schließen, der Altnazi habe in Damaskus unter anderem auf den Gehaltslisten des BND und der bundesdeutschen Raketenfirma OTRAG gestanden. Obwohl sein Aufenthaltsort und sogar seine Telefonnummer im Ausland bekannt waren, bestritt die syrische Führung bisher vehement, Brunner Unterschlupf zu gewähren. Der israelische Geheimdienst schickte ihm zwei Briefbomben, durch die er ein Auge und mehrere Finger verlor. Am 15. Oktober 1991 mußte Brunner seine Wohnung im Damaszener Diplomatenviertel gegen einen unauffälligeren Ort eintauschen. Seitdem verlor sich seine Spur.

Der als „Nazijäger“ bekanntgewordene Serge Klarsfeld erklärte der taz, die Nachricht könne sowohl eine gezielte Fehlinformation als auch die Wahrheit sein. Einerseits läge es nicht nur im Interesse Brunners, sondern auch Syriens, „daß alle Welt glaubt, er sei tot“, andererseits könne Syrien, nachdem es immer bestritten habe, Brunner zu beherbergen, „nicht plötzlich seine Leiche präsentieren. Alois Brunner wird so wohl ewig leben, auch wenn er vielleicht schon tot ist.“ Thomas Dreger