■ Mit dem Berufsverkehr auf du und du
: Mobil zum Herzinfakt

Berlin (taz) – Schon wieder Stau. „Und dieser Hanswurst hintendran fährt einem auch noch fast die Stoßstange ab. Nein – jetzt kommt auch noch so ein kleiner Gernegroß, der sich mit seiner Kiste vordrängelt!“ Da erreicht das Herz schon einmal eine Frequenz von 150 Schlägen in der Minute – keine gute Voraussetzung, um entspannt und gut gelaunt den Arbeitsplatz zu erreichen. Auf Dauer kann der Verkehrsstreß sogar zu Herz- und Kreislaufkrankheiten führen. Statistisch läßt sich ein direkter Zusammenhang zwischen der Dauer des Arbeitsweges und der Höhe des Blutdrucks nachweisen.

Vor allem Männer sind dabei gefährdet – denn 64 Prozent der zwischen 20 und 59 Jahre alten Herren erledigen ihre Wege vorwiegend mit dem Auto. Die Frauen in Deutschland schwingen sich hingegen nur für jeden dritten Weg hinters Steuer.

13,6 Millionen Menschen pendeln täglich auf Deutschlands Straßen aus ihrem Heimatsprengel zum Arbeitsplatz– das ist mehr als jede dritte ArbeitnehmerIn. 1,4 Millionen legen dabei sogar mehr als 50 Kilometer am Tag zurück oder sind pro Fahrt mehr als eine Stunde lang auf Achse. Kein Wunder, daß sie wesentlich krankheitsanfälliger sind als ihre KollegInnen, die im selben Ort wohnen und arbeiten.

Die Arbeits- und Forschungsgemeinschaft für Verkehrsmedizin und Verkehrspsychologie in Köln hat den Pendlerstreß im Auftrag vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen untersucht. Aber anstatt ihrer Klientel zu empfehlen, möglichst eine Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes zu suchen, bieten die Krankenkassen Entspannungskurse an, um ihre Mitglieder bei Gesundheit zu halten.

Aber auch in Bus und Bahn kommen viele PendlerInnen ins Schwitzen. Schlechte Luft, fehlende Sitzplätze, Gedrängel, Verspätungen und Lärm sind die wichtigsten Streßquellen, die zu Spitzenwerten der Herzfrequenz zwischen 110 und 150 Schlägen pro Minute führen können.

Je besser die Transportmöglichkeiten, desto weiter reisen die Menschen zu ihrem Arbeitsplatz an. In Frankreich pendeln ArbeitnehmerInnen bereits täglich von Lyon nach Paris – der TGV macht's möglich. Auch in der Schweiz gibt es viele, die täglich von Zürich nach Basel zur Arbeit fahren. Im Durchschnitt ist jeder Mensch weltweit täglich etwa eine Stunde unterwegs, um die nötigen Wege zu erledigen.

Längere Verkehrswege sind eine seit Jahrzehnten anhaltende Entwicklung, die nicht zuletzt aus einer großräumigeren Arbeitsteilung und der Trennung zwischen Arbeits- und Wohnstätten in der Siedlungsstruktur herrühren. Die „moderne Mobilität“ jedoch hat zu nichts anderem geführt, als daß die Wege immer länger, das Transportmittel immer schneller und der Streß immer größer werden. Annett Jensen