Zainuddin und die Krise in Ayodhya

Wie sich die indischen Religionsunruhen in einem Hinterhof in Delhi niederschlagen/ Der gutgemeinte Lösungsvorschlag eines muslimischen Schreiners  ■ Aus Neu-Delhi Bernhard Imhasly

Zainuddin erwachte mitten in der Nacht, als er Geräusche vernahm und sah, daß Flammen vor seinem Fenster loderten. Im Hof lag ein Feuerball aus Kleiderfetzen, Stricken und Autoreifen. Zainuddin ist ein Schreiner, der hinter meinem Büro – einer alten Garage– seine einfache Behausung hat, in der er mit seiner Frau und vier Kindern wohnt. Er ist aber auch ein Muslim und wußte daher sogleich, was es mit dem lodernden Feuer auf sich hatte. Seine Hütte grenzt an die Hütte eines Angestellten des Nachbarhauses, und bereits öfter mußte er den verdächtig laut geäußerten Verwünschungen gegen Muslime von jenseits der Mauer zuhören. Es hatte ihn nie gekümmert, denn Zainuddin gehört zu jener Gruppe von Menschen, für die religiöse Kleidung kein Qualitätsmerkmal ist.

Doch diesmal machte er sich Sorgen. Drei Tage zuvor hatten Tausende von Hindus in Ayodhya, nicht weit von seiner Heimatstadt Bareli entfernt, die Babar-Moschee gestürmt. Es war das erste Mal in der Geschichte des unabhängigen Indiens, daß ein religiöser Ort innerhalb von Stunden der Zerstörungswut fanatischer Hindus zum Opfer fiel – in einem Land, das stolz ist auf seine religiöse Tradition und Toleranz. Die darauffolgenden Tage gingen in ganz Indien Muslime auf die Straßen und machten mit Angriffen auf Geschäfte und Häuser von Hindus ihrer Empörung Luft.

Wieder einmal war die alte Wunde zwischen Hindus und Muslimen aufgebrochen. Geschlagen worden war sie bei den mongolischen Eroberungen und Zerstörungen vor Hunderten von Jahren. Die Teilung des Landes in einen muslimischen Staat, Pakistan, und in einen „säkularisierten“ Staat, Indien, wo eine religionsneutrale Verfassung die Minderheiten schützen sollte, vertiefte die Wunde, statt sie zu heilen. Die Hindus empfanden die Teilung als eine Tragödie – sie tun es immer noch – und eine Kapitulation vor den extremen Forderungen der damaligen Muslim-Politiker. Und viele Hindus machen die in Indien zurückgebliebenen Muslime dafür mitverantwortlich und begleiten sie mit dem Mißtrauen, das man vermeintlichen Spionen entgegenbringt.

Die Zerstörung der Moschee von Ayodhya hatte, so überlegte Zainuddin in jener Nacht, viele Hindus in einen Siegesrausch gestürzt – und vermutlich den Nachbarn provoziert, dem Muslim- Handwerker von nebenan eine Lektion zu erteilen, der vielleicht noch gröbere Angriffe folgen könnten. Obwohl es halb eins in der Nacht war, weckte Zainuddin sofort seinen Hausmeister, der in der Villa vor Garage und Hütte wohnt. M.L. Sondhi zögerte nicht lange. Er rief den Arbeitgeber des Brandstifters – einen Briten – an, und beide gingen direkt in die Hütte und warfen den Brandstifter aus dem Haus. Nur weil Zainuddin darauf bestand, von einer Benachrichtigung der Polizei abzusehen, gingen die beiden Hausherren darauf wieder ins Bett, nicht ohne Zainuddins Familie zu beruhigen und ihr jeden Schutz zuzusichern.

Das beunruhigende Nachtstück hatte damit ein relativ rasches und glimpfliches Ende genommen. Doch es zeigt, wie schnell das Klima des Mißtrauens in offenen Haß umschlägt, wenn es irgendwo in Indien zu Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen kommt. Doch es wäre zu einfach, allzurasch auf eine generelle Feindschaft zu schließen. Das zeigt auch der Fall von Zainuddin. Denn M.L. Sondhi, der „Landlord“ des Muslim Zainuddin (und des Christen Imhasly), ist ein Hindu. Nicht nur dies – er ist auch ein Mitglied der „Bharatiya Janata Partei“ (BJP), jener Partei also, die mit ihrem religiös-nationalistischen Chauvinismus das Klima zwischen Hindus und Muslimen vergiftet hat, zusammen übrigens mit kleineren, aber ebenso virulenten islamistischen Parteien.

Sondhi, ehemaliger Abgeordneter der BJP und als solcher einer der Ideologen der Partei, war gegen die gewaltsame Zerstörung der Moschee. Ob dabei auch sein Verhältnis zu Zainuddin eine Rolle spielte, ist mir nicht bekannt. Aber in den letzten drei Jahren, als die Diskussion um Ayodhya immer wieder hohe Wellen schlug, war er, wie ich auch, häufiger und aufmerksamer Zuhörer seines langjährigen Mieters. In den vielen Stunden seiner freien Zeit hatte Zainuddin nämlich einen Plan entwickelt – und gezeichnet –, wie die Ayodhya-Krise zu bewältigen sei. Sein Vorschlag: Warum nicht eine religiöse Gebetsstätte bauen, deren zentrale Teile einen Hindu- Tempel und eine Moschee bilden: Das Allerheiligste – die Geburtsstätte des Hindu-Gottes Ram –, bestehend aus einem hinduistischen Opferaltar und überwölbt von einem Dom mit einem islamischen Minarett. Und um die Dualität der beiden Religionen zu entschärfen, warum nicht an den Flügeln weitere Gebetsstätten anbauen – einen buddhistischen Vihara, eine christliche Kirche, einen zoroastrischen Feuertempel, einen Sikh-Gurudwara?

Es mag die bizarre Idee eines Mannes gewesen sein, der sich ernsthaft Sorgen um das religiöse Klima seines Landes und die Zukunft seiner Gemeinschaft macht. Durch Vermittlung Sondhis sandte er eine Kopie an Premierminister Rao. „Wenn er meinen Plan befolgt hätte“, meinte Zainuddin treuherzig, „hätten wir heute nicht diesen Schlamassel.“ Aber es gibt – Gott oder Allah oder Ram sei Dank – Nachbarn, welche die menschliche Solidarität zwischen Angehörigen der verschiedenen Gruppen immer wieder herausfordern. Der brandstiftende Nachbar übrigens ist ein kastenloser Hindu, der sich vor Jahren bekehrt hat – zum Christentum.