Indiens Hindu-Führer sollen vor Gericht

■ Machtkampf zwischen Regierung und BJP / Bisher über 600 Tote bei Unruhen

Neu-Delhi/New York (AP) – Bei den anhaltenden Unruhen seit der Zerstörung der Babri-Moschee im nordostindischen Pilgerort Ayodhya sind bereits mehr als 600 Menschen ums Leben gekommen. Die Ausschreitungen haben unterdessen zu einem Machtkampf zwischen der Regierung von Ministerpräsident Narasimha Rao und der hindu-nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei (BJP) geführt. Deren Führer waren am Dienstag festgenommen worden, sie sollen heute vor Gericht gestellt werden. Das Parlament in Neu-Delhi vertagte die Debatte über den Religionskonflikt nach dreitägigen Tumulten bis zum 16. Dezember.

Die BJP hat bis Sonntag im Unionsstaat Uttar Pradesh regiert, in dem Ayodhya liegt. Aus Protest gegen die Festnahme ihrer Führer L.K. Advani und Murli Manohar Joshi rief sie für Mittwoch zum Generalstreik auf, der von vielen Indern befolgt wurde. Uttar Pradesh wurde inzwischen von der Regierung Rao unter direkte Bundesverwaltung gestellt.

Advani und Joshi müssen sich ab Donnerstag vor einem Gericht in Faisabad, der Schwesterstadt Ayodhyas, wegen Anstiftung zum Religionshaß, Bedrohung der nationalen Integration und Anstiftung zu Verbrechen verantworten. Ihnen droht eine Höchststrafe von elf Jahren Freiheitsentzug.

Zum erstenmal seit Ausbruch der Unruhen verhaftete die Polizei in Ayodhya am Mittwoch 26 Hindus, die sich am Sonntag an der Zerstörung des moslemischen Gotteshauses beteiligt hatten. Die Regierung kündigte unterdessen die Wiedererrichtung der Babri-Moschee und die Einrichtung eines Hilfsfonds für die Opfer der Religionsunruhen an.

Die schwersten Ausschreitungen gab es auch am Mittwoch wieder in der Zehnmillionenstadt Bombay und dem angrenzenden Staat Maharashtra. Dort kamen insgesamt 280 Menschen ums Leben. In Assam wurden am Mittwoch 30 Menschen getötet, wodurch die Zahl der Opfer in diesem Unionsstaat auf 60 stieg. Aus Uttar Pradesh wurden 80, aus Gujarat 128 und aus Karnatka 40 Todesopfer gemeldet.

Im Gefolge der Ereignisse in Indien kam es auch in den mehrheitlich von Moslems bewohnten Nachbarstaaten Pakistan und Bangladesch zu antihinduistischen Ausschreitungen. Indien evakuierte am Mittwoch 108 Mitarbeiter diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Pakistan und deren Angehörige. Am Vortag war die Residenz des Generalkonsuls in Karatschi von Moslems gestürmt und geplündert worden. Ebenso wie in Bangladesch fand am Mittwoch auch in Pakistan ein Generalstreik statt, den die pakistanische Regierung aus Protest gegen die Zerstörung der Moschee ausgerufen hatte. Dutzende Hindu-Tempel im ganzen Land gingen in Flammen auf. In Karatschi, wo die meisten der rund 800.000 Hindus des Landes leben, brannten Moslems viele Wohnungen und Geschäfte dieser Bevölkerungsgruppe nieder. 26 Hindus sind in Pakistan bisher Racheakten von Moslems zum Opfer gefallen.

Auch in Großbritannien kam es zu Übergriffen gegen Einrichtungen der hinduistischen und islamischen Gemeinden. In der Nacht zum Mittwoch sind Tempel und Kulturzentren der hier lebenden 400.000 Hindus sowie eine Moschee durch Brandstiftungen beschädigt worden.

OIC will UNO-Generalsekretär einschalten

Die islamischen Staaten wollen den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Butros Ghali, in den Konflikt einschalten. Die UNO- Botschafter der 46 Staaten der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) riefen Butros Ghali am Dienstag auf, „seinen moralischen und politischen Einfluß für die Sicherheit der Moslems und ihrer heiligen Stätten in Indien geltend zu machen“.

Die OIC äußerte zugleich ihr Mißfallen über „das Versagen der indischen Behörden“, die es versäumt hätten, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Moschee aus dem 16. Jahrhundert zu ergreifen. Der Vorsitzende der Gruppe, der türkische Botschafter Mustafa Aksin, sagte, daß sich die OIC um ein Treffen mit Ghali bemühen werde. Er schlug der UNO-Generalversammlung vor, die Vorfälle in Ayodhya von der in Genf ansässigen UNO-Menschenrechtsorganisation untersuchen zu lassen.