Das „Ei“ endet nun doch in der Pfanne

„Wurst wider Wurst“ – Letzte Premiere in der Kleinen Bühne des Friedrichstadtpalastes  ■ Von Sibylle Burkert

Wenn am Montag abend im Keller des Friedrichstadtpalastes eine Minute vor acht das letzte Klingelzeichen ertönt, werden die Schauspieler nicht nur Lampenfieber haben. In die Aufregung, die zu Premieren in allen Theatern der Welt herrscht, wird sich Wehmut und Traurigkeit mischen, denn „Die kleine Bühne Das Ei“ lädt zu ihrer vorerst letzten Premiere ein.

Das kleine Theater wurde 1978 gegründet und erhielt seinen komischen Namen vom eiförmigen Grundriß seiner ersten Spielstätte im alten Friedrichstadtpalast. Von Anfang an fühlten sich die Mitarbeiter einer Boulevardtheater- Tradition verpflichtet, die bis dahin in der DDR so gut wie gar nicht gepflegt worden war.

Der Erfolg stellte sich schlagartig ein: „Das Ei“ war immer gut besucht, oft sogar ausverkauft. Kulturpolitisch wurden die Spielplanvorhaben teilweise geduldet und teilweise kritisch beobachtet. Parteiauftragspositionen waren im Repertoire nicht vorgesehen, im Ei wurde Unterhaltungstheater auf künstlerisch hohem Niveau gemacht. Und immer mal wieder gab es Schwierigkeiten mit dem „Theater im Palast“ und seiner mit der Parteiführung eng liierten Leiterin Vera Oelschlegel, die in der Kleinen Bühne eine ernstzunehmende Konkurrenz sah und heftig intrigierte.

Sechzig Inszenierungen kamen hier zur Aufführung. Das Angebot reichte von Liederabenden (Tucholsky, Ringelnatz, Kreisler, Weill) über Berliner Possen und französische Boulevardstücke bis zu Lorca, Neil Simon und dem „Nackten Wahnsinn“ von Freyne, einem Stück, das die räumlichen Grenzen des Hauses zu sprengen drohte und trotzdem in erstaunlicher Qualität herausgebracht wurde.

Karl-Heinz Müller, der künstlerische Leiter des Hauses, der in den siebziger Jahren mit Besson an der Volksbühne gearbeitet hatte, verstand es in all den Jahren, große Schauspieler aus Berliner Häusern für sein Mini-Ensemble zu interessieren. Katja Paryla, Wilfried Ortmann, Margit Bendokat, Günter Junghans und viele andere nutzten die Möglichkeit, in Stücken zu spielen, für die es in ihren eigenen Theatern keine Vakanzen gab.

Und noch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil hatte das Ei: Hier konnten Künstler arbeiten, die politisch unbequem waren und denen nirgendwo sonst ein Rollen- oder Inszenierungsangebot gemacht worden wäre. Auch ein gestellter Ausreiseantrag führte nicht unbedingt zur Arbeitslosigkeit, irgendein Weg zur Weiterbeschäftigung fand sich in den meisten Fällen. Und so führte das Ei in politischer Hinsicht ein Nischendasein am Rande der Berliner Theaterszene. Letztlich ist aus dem Ei auch das „theater 89“ hervorgegangen, denn Jochen Frank hat die ersten Inszenierungen im Jugendclub in der Wilhelm-Pieck-Straße mit Schauspielern vom Ei erarbeitet und noch im vorigen Herbst eine Uraufführung – „König Kacke“ von Jürgen Holtz – als Koproduktion beider Häuser in Szene gesetzt.

Nach der Wende blieben auch im Ei die Zuschauer aus, und an manchen Abenden waren mehr Menschen auf der Bühne als im Zuschauerraum. Inzwischen kann das Theater aber wieder mit Auslastungszahlen bis zu achtzig Prozent aufwarten und hält sich damit im Berliner Durchschnitt wacker. Trotzdem ist Ende des Jahres Schluß, denn der neue Intendant des Friedrichstadtpalastes Julian Herrey ist der Meinung, das Ei gefährde den Spielbetrieb der Großen Revue und arbeite außerdem defizitär. Achim Wolff, seit zehn Jahren Schauspieler am Ei und als Personalratsmitglied intensiv um die Belange des Ensembles bemüht, bemerkt dazu bitter: „Ich möchte wissen, welches Theater nicht defizitär arbeitet. Und im übrigen ist es schwierig, mit einem Intendanten über Profile und Arbeitsweisen eines Theaters zu sprechen, wenn selbiger – seit neun Monaten im Amt – keine Ei-Produktion gesehen hat.“ Die einzige Chance, das kleine Theater in Rudimenten weiterzuführen, sieht Achim Wolff in einer privatisierten Form. Unter der Bedingung, daß Aufführungen vor allem im Vorortbezirk Marzahn stattfinden, hat der Kultursenator eine Anschubfinanzierung von 733.000 Mark für die nächsten drei Jahre in Aussicht gestellt. Das würde einen festen Mitarbeiterstab von vier Angestellten und Honorarverträge für die Schauspieler ermöglichen. Achim Wolff, der dann die künstlerische Leitung übernehmen soll, ist optimistisch. Trotzdem bleibt unverständlich, warum das Ei mitten in der Spielzeit dichtmachen muß, zumal die Kleine Revue, die in denselben Räumen spielt und deren Ende ebenfalls fest programmiert war, nun doch weitere zwei Jahre bestehen bleibt.

Die letzte Premiere übermorgen abend greift noch einmal eine kaum gespielte Berliner Posse auf: „Wurst wider Wurst“ von F.W. Korn. Die Story ist einfach und endet natürlich mit einem Happy- End. Der Regisseur Gerd Grasse hat die im Stück enthaltene Situationskomik handwerklich perfekt bedient. Trotzdem mutet die Stückidee für die letzte Arbeit in den alten Räumen ähnlich fad an wie der ganze Niedergang des Ei.

Premiere am Montag um 20 Uhr im Ei, Friedrichstraße 107