Genossen demonstrieren Gemeinsamkeit

Große Mehrheit auf dem SPD-Parteitag für neue Position im Asylrecht und Zustimmung zu Blauhelmeinsätzen/ Enger Verhandlungsspielraum für die Fraktion  ■ Von Tissy Bruns und Andreas Zumach

Bonn (taz) – In den ersten Minuten des Dienstags beschloß der SPD-Parteitag mit geradezu überwältigender Mehrheit die neue Position der Partei zum Asylrecht. Kaum mehr als zehn Prozent der Delegierten stimmten gegen den Kompromiß der Antragskommission, der nach drei Monaten Streit eine gute Woche vor dem Parteitag zustande gekommen war. Parteichef Björn Engholm hat sich mit der „Petersberger Wende“ insoweit durchgesetzt, als sich die SPD nun einer Änderung des Asyl-Artikels öffnet. Der Beschluß begrenzt diese Öffnung jedoch: der Artikel 16 soll durch einen Hinweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention ergänzt werden (Ziffer 54). Asylentscheidungen anderer europäischer Staaten, die die Genfer Konvention und die Europäische Flüchtlingskonvention anerkannt haben, sollen künftig anerkannt werden (Ziffer 54a). Wer in einem solchen Land abgelehnt wurde, wird vom bundesdeutschen Asylverfahren ausgeschlossen, ebenso Bewerber, die aus einem sicheren Drittland kommen (Ziffer 54b). Am Individualgrundrecht politisch Verfolgter und an der Rechstwegegarantie von Artikel 19,4 will die SPD festhalten. Ein „deutlich beschleunigtes und vereinfachtes Verfahren“ will die SPD für Bewerber, bei denen aufgrund ihres Herkunftslandes angenommen werden kann, daß ihr Antrag „offensichtlich unbegründet“ ist (Ziffer 54c). Der Asylbeschluß ist eingebettet in ein Paket zur Zuwanderungspolitik, das auch die Forderung nach einem gesonderten Status für Bürgerkriegsflüchtlinge und ein europäisch abgestimmtes Einwanderungsrecht fordert.

Über 70 Delegierte hatten sich in dieser Debatte gemeldet, etwa die Hälfte kam zu Wort. Fast nach Reißverschlußprinzip wechselten sich Petersberg-Befürworter und Kritiker ab, um die Zustimmung zum Papier der Antragskommission zu begründen. Stimmen wie die der Jungsozialistin Nina Hauer, die sich ganz gegen eine Änderung des Asylartikels aussprach, blieben eine Ausnahme – übrigens eine stürmisch beklatschte.

Hans Eichel, Renate Schmidt, Freimut Duve und andere zeigten sich erleichtert, daß sich die SPD endlich bewegt. Die Skeptiker (nicht nur) aus der Parteilinken hingegen waren zufrieden darüber, daß der Parteitag der Fraktion für die kommenden Verhandlungen mit Union und FDP ein umrissenes Mandat gegeben hat. Fraktionschef Hans-Ulrich Klose wies darauf hin, daß in Verhandlungen selten 100 Prozent der eigenen Position durchgesetzt werden. Hans Jochen Vogel, dem am Ende der Debatte besondere Redezeit eingeräumt wurde, schlüpfte für zwanzig Minuten fast noch einmal in die Rolle des Parteivorsitzenden: Lob für Engholm, eine milde Selbstkritik wegen möglicher „Starre“ zur Zeit seiner Verantwortung und ein heftiges Plädoyer für den Kompromiß, das die Delegierten hinriß. Nur Klose, der es als Verhandlungsführer ausbaden muß, rührte keine Hand, als Vogel für möglichst viele Stimmen warb, „damit die Fraktion in ihren einzelnen Mitgliedern diese Entscheidung als die maßgebliche Orientierung betrachtet“.

Eine Kommission, der neben Mitgliedern der Fraktionsführung die beiden sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping und Gerhard Schröder angehören, wird ab Donnerstag mit Union und FDP verhandeln. Auf Antrag der Parteilinken verständigte sich Parteitag darauf, daß der Parteirat, das höchste SPD- Gremium zischen Parteitagen, über das Ergebnis zu entscheiden hat. Über den Kompromiß hinaus, der vor einer Woche erzielt wurde, nennt der Beschluß ausdrücklich allein die Ziffern 54, 54 a und b als Gegenstände möglicher Verfassungsergänzungen. Die Verfahrensverkürzungen in den „offensichtlich unbegründeten Fällen“ (Ziffer 54c) sollen nach dem Willen der SPD außerhalb einer Verfassungsänderung geregelt werden – das sieht die Union ganz anders. Ob eine nochmalige Verfahrenskürzung ohne Änderung der Verfassung vertretbar ist, bezweifeln viele Experten.

Schon bald, vermutlich vom 27. bis 29. November, werden sich die Fraktionsspitzen zum „Asyl-Konklave“ zusammensetzen, um vor Weihnachten gemeinsame Eckpunkte vorzulegen. Die FDP begrüßte die SPD-Beschlüsse, die CSU blockt weiter. Unklar bleiben die Absichten der CDU. Während Heiner Geißler und Rita Süssmuth nach dem SPD-Parteitag dafür plädierten, die Kompromißchance zu nutzen, befanden Bundesinnenminister Rudolf Seiters und Faktionschef Wolfgang Seiters: „nicht ausreichend“. Ob die CDU einen Konsens finden will oder es vorzieht, weiter der SPD den Schwarzen Peter zuzuschieben, das ist die offene Frage.

Mehrheit auch für Blauhelmeinsätze

Mit einer satten Dreiviertelmehrheit hat die SPD auch der Teilnahme von Bundeswehreinheiten auch an „friedenserhaltenen Einsätzen“ (Blauhelme) unter UNO- Kommando zugestimmt, die – wie jüngste Erfahrungen zeigen – zu Kampfhandlungen eskalieren können. Den entsprechenden Leitantrag hatte eine Kommission unter Vorsitz des Sicherheitspolitikers Karsten Voigt erarbeitet. Laut Beschluß können „Blauhelm-Missionen“ unter anderem auch für „die Absicherung humanitärer Aktionen zum Schutz der Zivilbevölkerung, von Hilfslieferungen und Waffenstillständen, UNO-Schutzzonen und -mandatsgebieten genutzt werden“. Wie die aktuellen Beispiele der „Blauhelm“-Einsätze im ehemaligen Jugoslawien und in Somalia zeigen, können derartige Maßnahmen „sehr schnell in Kampfhandlungen schlittern“, wie ein Kritiker des Leitantrages auf dem Parteitag formulierte. Auf Antrag der Sicherheitspolitiker des linken Flügels, den Bundestagsabgeordneten Katrin Fuchs und Gernot Erler, machte der Parteitag eine Teilnahme von Bundeswehreinheiten an „Blauhelm“- Missionen daraufhin von der „Voraussetzung“ abhängig, „daß die beteiligten Konfliktparteien zustimmen und damit keine militärischen Kampfeinsätze verbunden sind“. Genau diese Voraussetzung hatte jedoch vorgelegen, als der UNO-Sicherheitsrat vor Monaten die Entsendung von „Blauhelm- Truppen“ in das ehemalige Jugoslawien beschlossen hatte. Das ist inzwischen Makulatur.

Auch waren bis letzte Woche bereits 29 UNO-Soldaten ums Leben gekommen und über 276 verletzt worden. Und dies, obwohl die seit Januar in Kroatien stationierten Verbände wie die seit Mai nach Bosnien-Herzegowina entsandten Schutztruppen ihren vom Sicherheitsrat erteilten Auftrag bislang auch nicht annähernd umgesetzt haben beziehungsweise ihn nur sehr zurückhaltend ausführen. Auch hat die UNPROFOR von ihrem ausdrücklichen Recht, bei Angriffen auch mit schweren Waffen zurückzuschießen, bisher kaum Gebrauch gemacht.

Über eine Beteiligung an Aktionen, bei denen ein ausdrücklicher Auftrag zu Kampfmaßnahmen vorliegt („friedensschaffende Einsätze“) will die SPD erst nach einer Reform der UNO sowie der zur Aufstellung von UNO-Streitkräften entscheiden. Damit blieb der Parteitag hinter den von Parteichef Björn Engholm unterstützten und auch von den Sicherheitspolitikern Voigt und Gansel befürworteten Petersburger Empfehlungen für eine Beteiligung deutscher Soldaten an friedensschaffenden Maßnahmen zurück.