Von Oberndorf nach Ostberlin

■ Waffen für die Stasi lieferte diei westdeutsche Rüstungsindustrie. Verschoben wurden sie von einem westdeutschen Händler. Wußten die Geheimdienste davon? Fragen für den Schalck-Untersuchungsausschuß

Von Oberndorf nach Ostberlin

Stolz meldete Alexander Schalck-Golodkowski seinem Stasi-Chef Mielke im Juni 1988 Vollzug: „Lieber Genosse Minister! Beiliegend übermittle ich Ihnen Prospektmaterial über bestellte moderne Waffensysteme für Spezialeinheiten. Ich gehe davon aus, daß sie in unserem Organ eine gute Verwendung finden. [...] Ich hoffe, daß wir damit einen kleinen Beitrag zur Stärkung unserer Spezialeinheiten leisten können. Mit kommunistischem Gruß ...“

Für Sondereinheiten der Stasi und des Innenministeriums beschaffte „Big Alex“ im Westen das Feinste vom Feinen: Spezialwaffen aus der Firma Heckler & Koch im schwäbischen Oberndorf. Präzisionsschützengewehre vom Typ PSG 1, das die Schwaben eigens auf Wunsch der bundesdeutschen Antiterrortruppe GSG 9 entwickelt hatten, Maschinenpistolen vom Typ MP 5 KA 1 sowie militärische Scharfschützengewehre HK 33 SG. Getarnt wurden die Maschinenpistolen in einem Attaché- Koffer, aus dem heraus mittels eines Abzugsbügels im Tragegriff gefeuert werden kann. Die gleiche James-Bond-Verpackung wie für die Personenschützer vom Bundeskriminalamt. Die Waffen jedoch konnten nicht einfach beim Nato-Lieferanten Heckler & Koch bestellt werden. Niemals wäre für einen Ostblockstaat die Exportgenehmigung ausgestellt worden. Also gingen westdeutsche Waffenschieber Schalck zur Hand.

Hauptbeschaffer wurde Karl- Heinz Schulz, der sich mit seiner Firma „Beij-Ma“ in Boom, nahe Antwerpen, niedergelassen hat. Schulz ist beim Bundeskriminalamt längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Erstmalig meldete er 1983 beim Militärattaché der DDR-Botschaft in Brüssel sein Interesse an Geschäften an. Der westdeutsche Waffenschieber bestellte die Waffen nicht direkt bei Heckler & Koch in Oberndorf, sondern bei der Londoner Tochterfirma der schwäbischen Rüstungsfirma. Über das Minibüro nahe des Picadilly Circus wurden die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen besorgt. Ein Mitarbeiter der Schalck-Firma IMES notierte: „Die Ware wird [...] vom Stammhaus an die Tochtergesellschaft in England geliefert.“ Heckler & Koch in Oberndorf lieferte an die Londoner Firma. Dabei wurde geschickt ein Schlupfloch im Kriegswaffenkontrollgesetz genutzt: Die Gewehre wurden zerlegt und nicht als Waffen, sondern als „Bausätze“ deklariert nach England ausgeführt.

In der Rüstungsfabrik Royal Ordnance in Enfield nahe London wurden die „Bausätze“ wieder zusammengesetzt und auf dem firmeneigenen Schießstand getestet. Dort übernahm der westdeutsche Waffenschieber Schulz die Waffen und ließ sie von der Londoner Spedition Jeppeson Heaton verschiffen – angeblich nach Kolumbien für die dortige Polizei. So jedenfalls stand es in dem „Endverbraucher-Zertifikat“, das er dem britischen Zoll vorlegte. Das Papier hatte ihn 50.000 Dollar gekostet.

Im Themse-Hafen Denton Wharf wurden die Waffen auf den DDR-Frachter „MS Neuhausen“ verladen. Der schipperte nonstop in den DDR-Überseehafen Rostock. Die Waffen wurden zunächst im Stasi-bewachten IMES- Depot bei Kavelstorf, knapp zehn Kilometer südlich von Rostock, zwischengelagert, von dort später nach Berlin, je zur Hälfte an das MfS und das Innenministerium, weitergeleitet. Derweil tuckerte die „MS Neuhausen“ tatsächlich nach Kolumbien. Schließlich mußte die Legende stimmen. Schulz besorgte auch noch die Eingangsbescheinigung des kolumbianischen Zolls. Mindestens zwei bis drei Geschäfte dieser Art liefen Mitte der achtziger Jahre über das deutsch-deutsche Dreieck Heckler & Koch – Schulz – IMES. Weitere Umgehungsgeschäfte mit Heckler & Koch-Waffen deichselte Schulz über Waffenhändler in Wien und Lissabon. Ist es denkbar, daß den Spähern der bundesdeutschen und britischen Geheimdienste ausgerechnet derart brisante Waffengeschäfte der DDR entgangen sein sollen? Wohl kaum. Ein ehemaliger Packer bei englischen Waffenfirma „Royal Ordnance“ erinnert sich, die DDR sei als Empfängerland gefallen. Auch den Speditionsmitarbeitern war klar, daß die Waffen in die DDR gelangten. Zumal „Heckler & Koch“ engste Geschäftsbeziehungen zu zahlreichen Nato-Armeen und Sicherheitsdiensten pflegt und die Firma „Royal Ordnance“ damals im Besitz der Krone war, und, so ein Insider, „geführt wie ein Department des Verteidigungsministeriums“. Sowohl der belgische, westdeutsche wie auch der britische Geheimdienst muß von den Waffengeschäften gewußt haben.

Auch in Ostberlin sah man das so. Über einen deutschen Mitarbeiter der Speditionsfirma notierte die Stasi: „B. Fiel bisher mehrmals mit operativ-relevanten Verhaltensweisen an. Nach vorliegenden Informationen äußerte 1983 der Genosse Sch., daß B. Mitarbeiter des BND ist und mit dem britischen Home Office zusammenarbeiten soll.“ Und über die Schlüsselfigur, den westdeutschen Waffenhändler Karl-Heinz Schulz, heißt es in einem Stasi-Report, er lasse sich nach eigenen Aussagen alle Geschäfte von den belgischen Sicherheitsbehörden absegnen.

Selbst IMES-Generaldirektor Erhard Wiechert alias IM „Wolfgang Wagner“ notierte über die Heckler & Koch-Operation für seinen Führungsoffizier: „Wir schließen nicht aus, daß über Schulz [...] Informationen an die britischen Sicherheitsorgane gegeben wurden.“ Doch das schien Wiechert nicht zu beunruhigen. Wiechert alias Wagner weiter: „Direkte Auswirkungen waren nicht erkennbar, und ein neues Geschäft läßt auch keine Vermutung zu, daß durch die englischen Organe in irgendeiner Weise eingeschritten werden könnte.“ Obwohl man auch der Spedition Jeppeson Heaton einen BND-Kanal unterstellte, wurde sie von IMES-Funktionären als „unsere Vertrauensspedition“ bezeichnet. Die „Strecke Schulz“ galt in Ostberlin als sicher.

Warum aber haben die Geheimdienste den doch offenkundig illegalen Deals tatenlos zugesehen, statt etwa den Fahndungsbehörden einen Tip zu geben? Schulz erklärte im Frühjahr gegenüber dem Militärexperten Erich Schmidt- Eenboom, seine DDR-Geschäfte seien seinerzeit vom BND abgedeckt gewesen. Im Gegenzug habe er dem BND aus der DDR das Freund-Feind-Erkennungssystem der Ostblock-Luftwaffen beschafft. Schulz bestreitet mittlerweile, je mit Schmidt-Eenboom gesprochen zu haben. Darauf hat dieser sein Gespräch mit Schulz in einer eidesstattlichen Versicherung niedergelegt und notariell beglaubigen lassen. Hat es also zwischen Stasi und BND einen indirekten Deal, eine Art Tauschgeschäft – Spezialwaffen gegen Militärspionage – gegeben, abgewickelt über das „Medium“ Karl-Heinz Schulz? Unter dem letzten DDR-Verteidigungsminister Eppelmann erstand er große Mengen NVA-Material. Darunter auch 100 Scharfschützengewehre von Heckler & Koch, die er womöglich einst selbst in die DDR geschmuggelt hatte. Auch heute treibt es Schulz weiter gen Osten. In dem Städtchen Neunhagen, östlich von Berlin, hat er jüngst eine Filiale eingerichtet. Dort geht ihm neuerdings ein Geschäftsfreund aus DDR-Tagen zur Hand, ein alter Hase im Ost-Waffenbusiness: Hanno Schütte, einst Topmanager in Schalcks Waffenhandelsfirma IMES, ließ sich von Schulz anheuern. Beide versuchen derzeit, russische T72-Panzer nach Pakistan zu vermitteln. Ob's wohl der BND schon mitbekommen hat?