Der Machtwechsel ist ein Generationswechsel

■ Ein liberaler Ex-Hippie siegte

„Jugend hat keine Zauberkraft“, analysierte der Guardian. „Aber heute morgen gibt es wieder die Möglichkeit eines Wandels in der Demokratie.“ Die Generation von Pearl Harbour ist von der Vietnam-Generation abgelöst worden. An die Stelle des Ex-US-Airforce- Piloten, CIA-Direktors und Protagonisten imperialer Großmachtpolitik nach den Mustern des Kalten Krieges ist ein ehemaliger Kriegsgegner getreten, der den zum Alptraum mutierten american dream entmystifiziert.

Noch deutlicher als die beiden Kandidaten illustrieren ihre Teams die Signifikanz des Generationswechsels. Auch wenn einige ehemalige Mitarbeiter der Administration Jimmy Carters und vielleicht auch der letzte demokratische Präsident selbst wieder in die Regierung Clintons einziehen werden, sind Clinton und Gore sowie ihre engsten Berater von den Brüchen der 60er Jahre geprägte Politiker. Albert Gore — Ende der 60er ebenfalls ein war protester — hat sich nicht nur mit seinem Buch „The Earth in the Balance“ als Umweltschutzexperte profiliert. Das brachte ihm von dem verbohrten Anti-Ökologen George Bush den Titel Mister Ozon — dafür aber die wahlentscheidenden Stimmen der umweltbewußten suburbanen USA, die Erfolge beim weißen Mittelstand. Er ist ein vehementer Verteidiger des Rechts auf Abtreibung und zählte ebenfalls zu den raren Gegnern des Feldzugs gegen Saddam Hussein und der republikanischen star war-Pläne. Als Berater hinter Clinton stehen andere eggheads der baby boomer-Generation wie Rob Shapiro, der 43 Jahre junge Chef des progressive policy institute. Shapiro hat als wirtschafts- und sozialpolitischer Vordenker Clintons eine Strategie des Wandels entworfen, die auf drei Prinzipien rekurriert: Chancengleichheit, Verantwortlichkeit und gesellschaftliche Zusammengehörigkeit.

Gemeinsam ist diesen jungen, ehrgeizigen Männern auch, daß sie Westeuropa gut kennen, zum Teil in der Alten Welt studiert haben und sich nicht nur von der Sozialpolitik und staatlichem Interventionismus inspirieren lassen.

Für ihren Versuch der Reorganisation des politischen Prozesses in den Vereinigten Staaten haben die jungen Demokraten gute Chancen. Angesichts der demokratischen Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat könnten sie ihre Politik besser durchsetzen, als es Bush jemals vermochte. Sie könnten den sozialen Disparitäten entgegensteuern oder etwa der Frage der Menschenrechte in der Außenpolitik wieder größeres Gewicht geben.

Clintons Team hat in einem kühl kalkulierten und nahezu perfekt inszenierten Wahlkampf die traditionellen Anhängerschaften der Demokraten wieder zurückgewinnen können. Sie streuten dafür geschickt konservative Untertöne. Nach dem überzeugenden Sieg können sie entweder einen deutlich fortschrittlicheren Kurs einschlagen oder sich von den Sachzwängen und dem Kalkül der Machtstabilisierung schnell wieder einfangen lassen. Der Neokonservatismus ist abgewählt, die moral majority, die nie eine wirkliche Mehrheit war und keine Rezepte für die amerikanische Krise hatte, mußte abdanken. Die Wahlen haben einen symbolischen und atmosphärischen Bruch gebracht, der weit über die Vereinigten Staaten wirken wird. Michael Sontheimer