■ Ein US-amerikanischer 68er über Bill Clinton
: Only time will tell

Wenn ich in meinen pessimistischeren Augenblicken auch in die ermüdende Nörgelei der Linken einstimme, zwischen Clinton und Bush bestehe keinerlei Unterschied, habe ich mich wieder einmal von meiner optimistischeren Seite überwältigen lassen und sage: Jawohl, es gibt Unterschiede. Einige haben sogar Gewicht.

1. Generation: Eine Art amerikanischer 68er, der in der Zeit von JFKs „neuen Grenzen“ seine ersten politischen Schritte tat und sich an der Organisation von Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg beteiligte, hält Einzug in der Räuberhöhle der Nation, wenn wir uns der gerade modischen Perot-Sprache für das Weiße Haus bedienen wollen. Und das bedeutet, daß neue Formen der politischen, sozialen, ja sogar musikalischen Sensibilität in der amerikanischen Politik vorherrschen werden. Es meint einen Wachwechsel. Von einer politischen Klasse, die – wie Bush – mit klaren Visionen und deutlichen Vorstellungen von richtig und falsch angetreten war, hin zu einer politischen Klasse, die heranwuchs in einer Zeit der Ungewißheit, der Entlarvung von Autoritäten, der offenen Fragen. Es geht um einen echten Zusammenstoß der Werte verschiedener Generationen; um die Angst der Generation des Zweiten Weltkriegs vor der Vietnam-Generation, die sie niemals verstanden hat und in der sie – vielleicht zu Recht – eine Bedrohung sieht. Diese Unterschiede in der Wahrnehmung werden mehr als nur symbolische Bedeutung gewinnen. Wahrnehmung ist wesentlich.

2. Klasse: Viele von uns linken „Universalisten“ des alten Stils haben des öfteren vorgebracht, daß die Demokraten nur dann wieder ins Weiße Haus einziehen könnten, wenn sie eine Koalition auf Klassenbasis gegen den spalterischen, rassischen Partikularismus der Republikaner zustande brächten. Diese Koalition auf Klassenbasis hatte sich für die Demokraten 1968 aufgelöst, und über zwanzig Jahre lang war kein Kandidat in der Lage, sie zu reaktivieren. Es schien, als besäßen die Republikaner ein garantiertes Monopol auf das Weiße Haus, solange es ihnen gelang, die Arbeiterklasse in Weiße und Afro-Amerikaner zu spalten.

Man kann lange darüber streiten, inwieweit Clinton und seine Kampagne aktiv den Wiederaufbau dieser demokratischen Koalition auf Klassengrundlage gefördert haben und – noch viel wichtiger – ob er sich als Präsident in seiner Politik und Strategie für das Weiterbestehen dieser Koalition als Faktor der amerikanischen Politik einsetzen wird. Aber es besteht doch keinerlei Zweifel, daß diese Koalition erneut zustande gekommen ist. Ich sehe dafür drei Gründe, und zwar, in abnehmender Reihenfolge ihrer Bedeutung:

a) Die katastrophale ökonomische Situation, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Kurz gesagt: Die weiße (vor allem männliche) Arbeiterklasse, die seit 1968 für die Republikaner stimmte, weil sie die Demokraten als Partei der Freizügigkeit, der Homosexuellen und – vor allem anderen – der Schwarzen identifizierte, ist zu ihren Positionen von vor 1968 zurückgekehrt.

Weiße protestantische Männer im Süden, weiße katholische Männer im Norden mußten plötzlich erkennen, daß der Haß auf die Schwarzen und der Versuch, sie unten zu halten, keineswegs bedeutete, daß nun für sie und ihre Kinder sichere Arbeitsplätze zur Verfügung standen. Die Erkenntnis, daß zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte die heranwachsende Generation materiell schlechter dran sein könnte als die heutige, bedeutete einen schweren Legitimationsverlust für Bush und die Republikaner – in einer Kultur, in der Hoffnung, Optimismus und Zukunftsglaube noch immer überragende Bedeutung besitzen. Wie lang diese „Reagan-Demokraten“ „Clinton-Republikaner“ bleiben werden, darüber kann nur Clintons Politik als Präsident entscheiden. Begnügen wir uns mit der Aussage, daß die Loyalität dieser Menschen gegenüber Clinton und den Demokraten im besten Falle schwach ist.

b) Die Republikanische Partei hat sich der radikalen Rechten und der Abtreibungsfrage ausgeliefert. So wie zwischen 1968 und heute das Thema der Rasse die Demokraten spaltete, so scheinen heute die Abtreibung und die „Werte“- Manie eine unüberwindliche Kluft in der Republikanischen Partei geschaffen zu haben. Zwar zeigen alle Umfragen, daß eine Mehrheit – insbesondere die amerikanischen Frauen – gegen die Abtreibung sind, aber ebenso deutlich ist, daß sie die freie Entscheidung zulassen wollen. Selbst konservative Menschen haben etwas dagegen, daß moralische Eiferer sich in ihre persönlichen Entscheidungen einmischen.

c) Clintons Neudefinition der Wohlfahrt. Kaum ein Wort des amerikanischen Vokabulars ist so negativ besetzt. Die Demokraten galten seit den sechziger Jahren in der Öffentlichkeit immer als die „Partei der Wohlfahrt“, das heißt als die Partei, die Leuten Geld gibt, die nicht arbeiten, keine Familien haben und in Faulheit und Sünde leben. Indem er schon sehr früh in seinem Wahlkampf argumentierte, die Menschen sollten nur zwei Jahre lang Wohlfahrt beziehen (statt unbegrenzt wie derzeit), und danach sollten sie (wenn sie gesund sind) eine Arbeit finden oder sich auf ein Umschulungsprogramm einlassen müssen, dessen Entlohnung jedoch nicht unter der offiziellen Armutsgrenze liegen dürfe, gelang Clinton ein brillanter Coup: Er ließ die Demokraten als Partei der Arbeit und der Arbeitsplätze erscheinen, nicht als diejenige der Wohlfahrt und der Geldverteilung.

3. Institutionen: Es gibt keinen Zweifel, daß Clinton bei den Richterernennungen eine grundlegend andere Personalpolitik betreiben wird als Reagan und Bush. Unglücklicherweise wird Clinton den immensen Schaden für die progressive Politik nicht beheben können, den die gut gezielten Ernennungen Reagans und Bushs der amerikanischen Öffentlichkeit auf allen Ebenen der Judikative auch weiterhin zufügen werden. Aber Clinton wird zumindest eine weitere Verschlechterung in diesem überaus wichtigen Bereich amerikanischer Regierung verhindern können. Wenn darüber hinaus die Wahl den Demokraten einen deutlichen Sieg in beiden Häusern des Kongresses beschert, könnte man sich durchaus vorstellen, daß Clinton in gewaltigem Anfangsschwung – nach dem Muster von Roosevelts hundert Tagen – der amerikanischen Innenpolitik ein ganz neues Gesicht geben könnte. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die neunziger Jahre nicht die Dreißiger sind. Die Dinge sind heute viel komplexer, Politik ist praktisch unmöglich ohne beträchtliche Modifikationen und Kompromisse. Clinton als Wahlkämpfer zeigte sich auf dieser Ebene schon fast brillant. Vor allem beeindruckte er sogar seine Kritiker – von denen es auch weiterhin viele gibt – mit seiner Beharrlichkeit und Elastizität – ohne die Sturheit und Egozentrik, die häufig mit den beiden ersten Eigenschaften einhergehen. Nur die Zeit wird lehren, ob Clinton eben diese Eigenschaften auch als Präsident an den Tag legen kann – und will. Andrei S. Markovits

Leiter des Instituts für Politikwissenschaft; University of California, Santa Cruz.

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning