Kroatische Bosnier gegen Muslimanen

Serben können Jajce erobern, weil der Angriff von Kroaten auf Muslimanen in anderen Landesteilen die gemeinsame Verteidigung der Stadt erschwert/ Spekulationen um Massaker  ■ Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) – Gestern fiel eine weitere muslimische Stadt in die Hände serbischer Aggressoren: Die zentralbosnische Stadt Jajce wurde „befreit“, und Bihac stehe ein ähnliches Schicksal bevor. So jedenfalls die Jubelmeldung des serbischen Fernsehens. Obwohl der kroatische Rundfunk diese Darstellung bestritt und „erfolgreiche Widerstandsaktionen“ gegen die „serbische Großoffensive“ meldete, sprach Radio Sarajevo bereits von einer „neuen Tragödie“ um Jajce. Hunderte Menschen seien bei den Kämpfen ums Leben gekommen, Tausende seien auf der Flucht. Bosnische Muslimanen wären die Hauptleidtragenden der Kämpfe.

Und dann folgten schwere Anschuldigungen gegen den kroatischen Bündnispartner. Danach hätten die Kroaten die Muslimanen in Jajce gezwungen, als „Kanonenfutter“ in der ersten Frontline den serbischen Angriff nur mit leichten Waffen abzuwehren. Unterdessen hätten sich die kroatischen Einheiten zurückgezogen, als die serbischen Truppen – trotz des UNO-Flugverbots – frische Kräfte mit Hubschraubern heranführten. Das bisher bestehende kroatisch-muslimanische Verteidigungsbündnis scheint bis zum Zerreißen gespannt. Denn Prozor – eine Gemeinde auf halbem Weg zwischen Jajce und Sarajevo – soll am Montag von kroatischen Einheiten „völlig ausradiert“ worden sein. So das bosnische Oberkommando in Sarajevo, das kroatische Truppen beschuldigt, „mehrere hundert“ Muslimanen ermordet und insgesamt 20.000 Menschen vertrieben zu haben. Selbst auf Fliehende hätten die Kroaten mit Maschinengewehren gefeuert.

Die Reaktion der Kroaten: Alles Lüge, „bewußte Falschmeldungen des serbischen Geheimdienstes“, so Petar Zelenika, stellvertretender Befehlshaber der kroatischen Truppen im fünfzig Kilometer entfernten Mostar, Kroaten und Muslimanen zögen sich gemeinsam geordnet zurück. Amerikanische und britische Journalisten, die selbst vor Ort waren, bestätigten gestern, in Prozor seien viele Häuser zerstört, Dutzende Leichen lägen noch auf den Straßen. Von serbischen Eroberern sei jedoch nichts zu sehen gewesen. Kroatische Soldaten kontrollierten den Ort.

So undurchsichtig die Ereignisse in Prozor noch sind, so klar nimmt mittlerweile Mate Boban, bosnischer Kroatenführer und selbsternannter Präsident der kroatischen Republik „Herzeg- Bosna“ gegen seine ehemaligen Verbündeten Stellung. Seit Tagen trommelt er über das Zagreber Fernsehen gegen die „islamische Gefahr“, gegen die sich die „Kroaten mit allen Mitteln zu Wehr setzen müssen“. Er gibt zu, daß seine kroatischen Verbände in den letzten Wochen Hunderte „islamische Fundamentalisten“ und „Volksmudschaheddin“ verhaftet hätten. Man werde sie vor Gericht stellen, da sie einen „Genozid“ am kroatischen Volk geplant hätten, zusammen mit „Großserben“ und „Jugozentristen“. Anschuldigungen, die in Sarajevo wiederum als „gefährliche Propaganda“ verurteilt werden, um das Volk der Muslimanen pauschal als „islamische Fanatiker“ hinzustellen, denen man nicht trauen könne.

Unterdessen gelingt es der serbischen Seite zunehmend, ihre Offensive fortzuführen. Auch die bisher vom Krieg relativ verschont gebliebene Hochburg Bihac, ehemals Grenzstadt zu Kroatien, wurde gestern von serbischen Truppen unter Dauerfeuer genommen.

Sarajevo beschuldigt die Kroaten, den bedrängten Muslimanen nicht zu Hilfe zu eilen, da es zwischen Belgrad und Zagreb Geheimverhandlungen gebe. Bihac soll den Serben überlassen werden, um dafür Travnik in Zentralbosnien der Kroatenrepublik Bosna- Herzeg einverleiben zu können. Zagreb widerspricht und sagt, es sei machtlos gegen den serbischen Vorstoß, denn der werde aus der Serbenenklave Krajina geführt, einem Territorium, das eigentlich als „neutrale Zone“ unter UNO-Aufsicht steht.