SPD sucht den Asyl-Kompromiß

Neuer Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder stößt auf Zustimmung und Skepsis gleichermaßen/ Vorschlag für Verfassungsartikel  ■ Von Jürgen Voges und Tissy Bruns

Bonn (taz) – In der SPD wird emsig nach Kompromissen gesucht, ein Ende des Streits um das Asylrecht ist aber noch nicht absehbar. SPD-Sprecherin Dagmar Wiebusch bezeichnete den neuen Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder gegenüber der taz als „wichtigen Schritt“. Die Konfrontation in der SPD sei deutlich abgemildert, aber die endgültige Lösung sei die niedersächsische Initiative wahrscheinlich noch nicht.

In einem Brief an seinen Parteivorsitzenden hatte Schröder sich erstmals auf einen konkreten Vorschlag zur Neuformulierung des Asylgrundrechts festgelegt. In dem am Montag verfaßten Schreiben kritisiert er die jüngsten Asyl- Beschlüsse des SPD-Parteivorstandes als „nur teilweise brauchbar“ und schlägt für einen neuen Artikel 16 Absatz 3 des Grundgesetzes folgende Formulierung vor: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Politisch verfolgt ist, wer Flüchtling im Sinne von KapitelI Art.1A der Genfer Konvention vom 28.Juli 1951 ist. Asylrecht genießt nicht, wem in einem anderen europäischen Vertragstaat der Genfer Konvention Asyl gewährt oder nach Überprüfung durch mindestens eine unabhängige Instanz verweigert wird. Durch Gesetz kann das Asylrecht für Flüchtlinge aus Kriegs- oder Bürgerkriegsgebieten, denen ein Bleiberecht bis zum Ablauf der kriegerischen Auseinandersetzungen gewährt wurde, ausgeschlossen werden.“

Die Aufnahme der Genfer Konvention in das Grundgesetz bezeichnet Schröder in dem Schreiben lediglich als Klarstellung darüber, „wer als politisch Verfolgter anzusehen ist“. Eine materielle Änderung enstehe durch diese Klarstellung nicht, da sich die bundesdeutsche Asyl- Rechtsprechung ohnehin anhand der Genfer Konvention entwickelt habe. Bürgerkriegsflüchtlingen, die aus humanitären Gründen Aufnahme in der BRD gefunden haben, will es Schröder künftig versagen, „individuelle Verfolgungsgründe vorzutragen, die ein Recht auf Asyl begründen könnten“.

Die seit Petersberg von der SPD-Führung favorisierte Grundgesetzänderung zwecks Einführung von Länderlisten lehnt Schröder in seinem Engholm-Brief als nicht der Beschleunigung der Verfahren dienlich ab. Bereits jetzt existieren nach Auffassung von Schröder „Länderlisten im Kopf des Entscheiders“, würden Asylanträge als offensichtlich unbegründet gelten, wenn ein Ausländer sich nur aus wirtschaftlichen Gründen in der Bundesrepublik aufhalte oder, um einer Not- oder Kriegssituation zu entgehen.

Skepsis gegenüber dem Schröder-Vorschlag äußerte Parteivorstandsmitglied Norbert Gansel. Das Konzept greife zu kurz, meinte der Bundestagsabgeordnete. Ihm fehlen die „Wege, um die Zahl der Zuwanderer wirksam zu reduzieren“, und die Einsicht, daß ein „Kompromiß, ja eine Verantwortungsgemeinschaft mit der CDU gesucht werden muß.“ Allerdings sieht Gansel in Schröders Papier Bewegung: „Er hat ja mit dem Antrag seines Bezirks Hannover sogar in drei Fällen eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen.“ Gansel erwartet von der Parteispitze vorrangig, daß sie für ihren Vorschlag zur Asylrechtsreform kämpft.

Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing interpretierte in der Berliner Zeitung den Antrag als „Chance, daß jetzt endlich wieder über das Gesamtkonzept diskutiert wird und nicht nur isoliert über den Artikel16.“ Er riet davon ab, eine Formulierung des künfitgen Artikel16 zu beschließen, weil diese „im Gespräch mit den anderen Parteien gefunden werden“ müssen. Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl, kritisierte den Vorschlag aus Hannover als „Einstieg zum Ausstieg“. Pro Asyl warnte die SPD vor einem Kompromiß, „der nur darauf abzielt, eine falsche Entscheidung der Führungsspitze um Engholm für die Gesamtpartei erträglicher zu machen.“ Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Johannes Gerster lehnte in einer Erklärung den Schröder-Vorschlag als „wortreich inszeniertes Täuschungsmanöver“ ab, das keine greifbare Veränderung der Rechtsgrundlage bewirke.