Der Staatssekretär im Nationaltrikot

■ PR-Fußballer Olaf Thon: Die Geschichte eines Mannes, der sich selbst erfand

Köln (taz) — Es war einmal ein talentierter Fußballer im Ruhrgebiet, der eroberte schon als Teenager die Herzen der — na klar — Schalker. Unter der Woche fuhr er mit dem Mofa zum Training, samstags zauberte er die Bälle rein. Mit 18 durfte er zu Kaiser Franz in die Nationalmannschaft, und die Königsblauen feierten ihn als Urenkel von Ernst Kuzorra. Der neue Fußballgott würde ein Schalker sein. Doch die Wege trennten sich. Schalke ging in die 2. Liga und Olaf mit 22 Jahren zu den Besten. Der Umstieg von der Bayern-Bettwäsche ins Bayern-Trikot gelang bruchlos, doch schon bald war man nicht mehr zufrieden mit Olaf. Wo war das Geniale der frühen Jahre hin? Er war doch das Talent des deutschen Fußballs.

Niemand jubelte ihm mehr zu, wenn er Nationalspiel um Nationalspiel absolvierte. Drei Dutzend waren es am Ende fast. Fast! Ein Spiel fehlte dazu noch. Und es war gerade jenes größtmögliche. Im Halbfinale der WM in Italien durfte er noch mittun, sogar den entscheidenden Elfmeter gegen die Engländer verwandeln. Doch im Finale saß er schon draußen und ward seitdem im Nationaltrikot nicht mehr gesehen.

Und dann ging auch noch das Knie kaputt! Die Bayern stürzten in ihre schönste Krise. Es war wie verhext. Olaf kam zurück, stritt viel mit Effenberg, kickte mäßig und stand vor dem Abschuß. Das Märchen schien vorbei. Da probierte Erich Ribbeck ihn als Libero aus, und es klappte. Es wurde immer besser. Die Fans staunten, die Fachleute jubelten und Bundes- Berti auch. Das Supertalent war endlich bei seiner Bestimmung angekommen. Auf der Königsposition. Olaf, der Libero.

Eigentlich eine schöne Geschichte. Und Olaf strahlt von vielen Zeitungsseiten und aus allen Kanälen. Doch Obacht, da stimmt was nicht! Ein mimisches Rätsel, merkwürdige Verspanntheit: ein Zucken um den Oberlippenflaum herum, der Mund geschürzt, die kleinen Äuglein noch verengt. Und was redet Olaf da? Welch fürchterlicher Tonfall! Man möchte weghören, umschalten, die Zeitung zerknüllen. Er war, scheint es, im Rhetorikkurs und kann seine Sätze jetzt grammatikalisch aufsagen, mit Anfang, Mitte und Ende und gepflegter Betonung. Und das macht es so schlimm.

Während der Sprechdurchfall eines Lothar Matthäus inzwischen leicht an einem abperlt oder die Halbsätze eines Andreas Brehme immer noch umwerfend komisch sein können, macht Olaf Ernst.

In den finsteren Zeiten hat er offenbar beschlossen, nur mehr Gelassenheit, Abgeklärtheit und Größe auszustrahlen. Das gelingt ihm ungefähr so gut wie einem Laienschauspieler die Verkörperung des König Lear; die selbstgebastelte Maske sitzt Thon genauso schlecht, wie seine lässige Betonung immer eine Spur falsch klingt. Die kleinen Bonmots („Beckenbauer hat Beckenbauer gespielt. Thon spielt Thon.“) scheinen gar vom PR-Berater zu stammen. Dabei sind Fußballer schließlich nicht zum schlauen Reden da, und ein Hauch sperriger Doofheit verleiht ihnen erst den richtigen Charme. Wo sonst schon der ganze Fußball so konform markt- und medienschlüpfrig ist.

Aber Olaf will genau das. Er ist bereit, um sein Marktsegment zu kämpfen. Auf dem Rasen und im Fernsehstudio. Fußball ist ein hartes Geschäft und Angriff die beste Verteidigung. So groß scheint die Panik des Comeback-Stars vorm erneuten Fall, daß er sich keine sympathische Schwäche zugestehen mag; kein Nervenflattern vor dem heutigen Spiel, „überhaupt nicht“, lieber eine dreiste Demonstration in Selbstsicherheit: „Ich möchte sagen, daß auch ich mit mir sehr zufrieden war.“

Der Mann hat sich selbst erfunden. Das kennen wir von Politikern. Entfremdete Rede im Auftrag der Macht. So nah dran wie Olaf war kein Kicker zuvor. Olaf Thon ist der erste Staatssekretär in der Nationalmannschaft. „Bericht aus Bonn“ mit Trikottausch. Doch während das Schauspiel bei jedem Interview quälender wird, glaubt er inzwischen wahrscheinlich sogar, was er sagt. So gesehen, ist es eine traurige Geschichte. Angst essen Seele auf. Eigentlich müßte man wünschen, Olaf Thon wäre damals mit 17 Jahren der Hochdruck-Rohrschweißerei treu geblieben. Ein wahrer Fluch, daß er so talentiert war. Katrin Weber-Klüver/

Christoph Biermann