Wahl der Wendehälse an der Karibikküste

■ Bei den ersten freien Wahlen des südamerikanischen Karibikstaates Guyana kandidieren vor allem gewendete Marxisten/ Angst vor ethnischen Konflikten

Georgetown (taz) — Drei vormals marxistische Parteien stellen die aussichtsreichsten Kandidaten bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im südamerikanischen Karibikstaat Guyana, die gestern nach Redaktionsschluß stattfanden. Aber es sind keine programmatischen Differenzen, die die öffentliche Diskussion bestimmen, sondern die Angst zwischen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden dominierenden Volksgruppen afrikanischer und indischer Abstimmung.

Die Wahlen sollen die seit der Unabhängigkeit 1966 herrschende Korruption beenden und das Land endlich zur Demokratie führen. Wie diese aussehen könnte, ist der Bevölkerung unklar — denn Wahlmanipulation ist nur der Gipfel des kontinuierlichen Verfalls der politischen Kultur des Landes. Vetternwirtschaft und Korruption prägen heute das Leben der eine Million Guyaner. Die Parteien haben in einem Wahlkampf, der oft unter die Gürtellinie ging, ihre ohnehin winzige Legitimation verspielt. Als Folge ziehen sich die Wähler auf die Position zurück, der Partei ihrer ethnischen Gruppe ihre Stimme zu geben. Das Ausnutzen des ethnischen Konfliktpotentials hat in Guyana Tradition: Bereits die britische Kolonialregierung bediente sich im 19.Jahrhundert einheimischer Indios, um entlaufene schwarze Sklaven einzufangen.

Das unabhängige Guyana wird von der Rivalität zwischen Schwarzen und Asiaten bestimmt. Nach der Sklavenbefreiung 1838 führten die Briten Angehörige diverser Volksgruppen als Kontraktarbeiter ein, um von den Schwarzen unabhängig zu werden. Neben Portugiesen, Deutschen und Iren kamen vor allem Inder, die heute über die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Es war ein Indo-Guyaner namens Cheddi Jagan, der mit seiner marxistischen „People's Progressive Parts“ (PPP) 1953 die ersten Wahlen zur lokalen Selbstverwaltung gewann. Aber es war der Afro-Guyaner Linden F. Burnham, der mit seiner ebenfalls linken PPP-Abspaltung „People's National Congress“ (PNC) 1964 den Sieg davontrug — was in London und Washington die Furcht vor einem „zweiten Kuba“ nährte.

Burnham mit seiner Vision eines „kooperativen Sozialismus“ — er nannte das Land „Cooperative Republic of Guyana“ — regierte schließlich bis 1985. Fast die gesamte von Bauxit, Zucker und Reis geprägte Wirtschaft wurde nationalisiert. Von den USA wurde das schließlich toleriert, da als Alternative die dogmatisch-marxistische PPP drohte. Unter dem Deckmantel einer Scheindemokratie mit gefälschten Wahlen baute Burnham einen autoritären Staatsapparat auf, der auch vor der Ermordung Oppositioneller — wie des weltbekannten Historikers Walter Rodney— nicht zurückschreckte.

Hinter PPP und PNC hat die einst von Walter Rodney geleitete Intellektuellenpartei „Working People's Alliance“ (WPA) jetzt die besten Chancen auf einen der 53 Parlamentssitze. Sozialistisches Gedankengut ist in keiner der drei großen Parteien mehr anzutreffen— alle haben sie Gefallen an marktwirtschaftlicher Orientierung gefunden. Ganz vorne dabei steht die afro-guyanische PNC unter dem seit Burnhams Tod regierenden Präsidenten Hugh Desmond Hoyte. Mit Hilfe des IWF und seinen kapitalistischen Anpassungsprogrammen versuchte er, den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Sein zaghaftes Privatisierungsprogramm ist jedoch bislang mehr von Skandalen und Affären geprägt als von Erfolgen.

So deutet jetzt bei den ersten freien Wahlen alles auf einen Wahlsieg der indo-guyanischen PPP hin. Unter den Schwarzen — etwa die Hälfte der Bevölkerung— grassiert daher die Angst vor Racheakten der bisher benachteiligten Inder, während diese den Einsatz der PNC-treuen, von Schwarzen dominierten Armee fürchten. Die wahltägliche Ruhe, die über der Hauptstadt Georgetown liegt, ist trügerisch. Wolfgang Steck