Tausche Rikscha gegen Rollstühle für Indien

■ Gesichter der Großstadt: Der Kreuzberger Bernd Breidenbend will den Patienten eines Slum-Krankenhauses in Kalkutta helfen und opfert dafür seine indische Fahrradrikscha

Kreuzberg. In Indien hat er keine Lizenz als Rikschafahrer bekommen, obwohl er stundenlang im Polizeipräsidium von Kalkutta dafür angestanden hat. In Berlin dagegen war Bernd Breidenbend sechs Jahre lang hauptberuflich mit seiner Fahrradrikscha unterwegs — auf Hochzeiten und Kinderfesten, als Ku'damm-Taxi und zeitweise auch als Werbeträger für die taz. Der Transport der Rikscha aus Indien vor elf Jahren sei »ungeheuer kompliziert« gewesen, erzählt er: »Das ging über Pakistan und Rumänien und dann mit Interflug nach Schönefeld. Direkt in Rudow habe ich sie zusammengebaut und bin losgeradelt.«

Konfrontation mit einer schmutzigen, stinkenden Stadt

Heute läßt ihm sein neuer Beruf als Altenpfleger zum Rikschafahren wenig Zeit — und so bietet der 49jährige einen ungewöhnlichen Tausch an: die Rikscha gegen zwei oder mehr zusammenklappbare Rollstühle für Mutter Teresas »Home for the Dying People« in Kalkutta.

In diesem Krankenhaus mitten im Slum hat Bernd Breidenbend im Sommer dieses Jahres gearbeitet. »Ich wollte die Konfrontation mit dieser schmutzigen, stinkenden Stadt«, erzählt er, »ich wollte Geduld lernen für die Arbeit im Altersheim.« Denn manchmal, gibt er zu, könnte er die alten Leute in dem Spandauer Seniorenheim, in dem er angestellt ist, »ganz schön barsch« anfahren. Das kann man sich kaum vorstellen, zu gutmütig sieht Bernd Breidenbend aus mit seinem grau werdenden Vollbart und seiner Jeanskluft. Lebhaft erzählt er von Kalkutta und zeigt seine großen Farbfotos, zuerst die aus dem Krankenhaus.

Schlimme Fälle wurden auf der Stelle operiert

Die Menschen, die auf den blau bezogenen Pritschen kauern und Reis aus Blechnäpfen löffeln, sind oft bis zum Skelett abgemagert. Zweimal die Woche kam ein indischer Arzt auf Visite, erzählt Breidenbend: »Der operierte die schlimmsten Fälle sofort, dabei wurden wir freiwilligen Helfer auch gebraucht.« Bevor er weiter berichtet, von Eitergeschwüren und Würmern, erkundigt er sich rücksichtsvoll: »Sind Sie empfindlich?«

An den Nachmittagen sei er in der Stadt herumgelaufen, habe Freundschaft mit einem alten Rikschafahrer geschlossen und Straßenszenen fotografiert, erzählt Breidenbend. »Ich wollte auch das Schöne sehen, ich möchte nicht dieses Helfersyndrom bekommen, daß man nur für andere lebt und nicht mehr für sich.« Auf einem Foto läuft eine weiße heilige Kuh quer über einen Straßenmarkt, auf dem nächsten spielen lachende Kinder neben einer Müllhalde. »Eigentlich müßte neben jedem Foto eine Duftprobe liegen. Kalkutta ist eine permanente Verletzung der Sinne, von Auge, Ohr und Nase.«

Fotografieren war schon immer sein Hobby. »Als Kind, zu Hause in Essen, habe ich meiner Schwester Schleifen ins Haar geflochten und sie dann mit meiner Agfa- Clack abfotografiert«, erzählt er. Später ließ sich Breidenbend zum Schaufensterdekorateur ausbilden und arbeitete viele Jahre für Kaufhäuser und Boutiquen. 1962 ging er nach Berlin — als Kulissenmaler für die »My Fair Lady«-Produktion im Theater des Westens.

Abschied an die Welt des Luxus

Später malte und textete er für Werbeagenturen. »Diese Welt von Luxus, Exklusivität, Design hat mich damals sehr angesprochen, aber irgendwann kam mir die Welt der Werbung schmierig vor, ich wollte mit Menschen umgehen.« Im Grunde, meint Breidenbend, würde er auch heute noch zwischen zwei Polen hin- und hergezogen. »Ich suche das Schöne, zum Beispiel diese lachenden Kindergesichter mitten im Schmutz, aber ich will auch vor dem Kranken und Häßlichen nicht die Augen verschließen.« Miriam Hoffmeyer