Junger Richter, alter Zopf

■ Prozeß um Steinwurf verkam zur Farce / Belastungszeugen im Urlaub

verkam zur Farce / Belastungszeugen im Urlaub

Daß manch älterer Jurist in schwarzer Robe überholte Traditionen pflegt, überrascht sicherlich nicht. Verblüffend ist nur, wenn auch junge Richter sich so verhalten, wie am Freitag Dr. Michael Labe. Dabei ging es in dem Verfahren eigentlich um Wichtigeres als um die Bewahrung alter Zöpfe. Es sollte geklärt werden, ob Christian S. bei einer Hausräumung in Eimsbüttel auf Polizisten einen „faustgroßen Gegenstand geschleudert“ hat, oder ob er zu Unrecht von Beamten der „16 E“-Schicht dessen bezichtigt wird.

3. Juni 1991: Ein Tag nach der Bürgerschaftswahl - der SPD-Senat hatte noch wenige Tage zuvor dem Spekulantentum den Krieg angesagt - wird das seit Wochen besetzte Haus Tegetthoffstraße 1 durch ein großes Polizeiaufgebot geräumt, protestierende Anwohner mit Wasserwerfern die Straße heruntergefegt. Zwei Beamte der „16 E“-Schicht aus der nicht gerade benachbarten St.Pauli-Wache, die sich offenbar ins fremde Revier- und Direktionsgebiet „verirrt“ haben, wollen im Verlauf der Räumung einen Mann beim Barrikadenbau und Steinewerfen gesehen haben. Merkmal: Eine grüne Kapuze. Etwa eine Stunde später treffen sie dann auf Christan S.: Er hat eine grüne Kapuze. Schlußfolgerung: Er muß der Täter sein.

Doch im Gerichtsaal ging es am Freitag weniger um die Erhellung des Sachverhalts. Vielmehr stritten Richter Labe und Verteidiger Andreas Beuth um Verfahrensfragen: Labe verlangte, daß der Angeklagte nicht neben seinem Anwalt, sondern auf der Prangerbank in der Mitte des Saals Platz nehmen sollte. Auch die Verlesung einer vorformulierten Erklärung zum Sachverhalt wollte Labe unterbinden, wurde aber vom Staatsanwalt zurückgepfiffen. Kaum war die Einlasssung verlesen, wollte der Nachwuchsrichter das Schriftstück beschlagnahmen lassen. Und als Beuth schnell die Blätter unter seine Anwalts-Fittiche nahm, marschierte Polizei auf. Das gesamte Gerichtsgebäude wollte Labe zwecks Beschlagnahme räumen lassen - verzichtete dann aber doch darauf. Christian S. hatte in seiner Erklärung den mittlerweile auch ins Visier von Amnesty International geratenen „16 E“-Beamten vorgeworfen, durch ihr „ausgeprägtes Feindbild“ einen „Heiligen Krieg“ gegen die linke Szene und ihn persönlich zu führen und „Menschenjagd“ ähnlich wie die „Todesschwadrone“ in Mittelamerika zu betreiben. Christian S.: „Die Vorwürfe sind erlogen.“

Dem hatte Richter Labe nichts entgegenzusetzen, denn die Belastungszeugen fehlten „wg. Urlaub“, was Anwalt Beuth sehr erboste: „Sie können doch nicht ohne Zeugen einen Prozeß ansetzen, wer zahlt denn die unnützen Gerichtskosten?“ Kai von Appen