Ignatz Bubis: Der richtige Mann in dieser Zeit

Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland ist kein Mann der falschen historischen Parallelen, kein Mann der pathetischen Mahnungen/ Seine Kritik am Deutschland dieser Tage ist um so ernster zu nehmen  ■ Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Mit 13 gegen sieben Stimmen ist Ignatz Bubis (65), Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, am gestrigen Sonntag zum neuen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland und damit zum Nachfolger des verstorbenen Heinz Galinski gewählt worden. Vor der Presse in Frankfurt sagte er, daß er schon in den nächsten Tagen Kontakt zu Parteien, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Gruppen aufnehmen werde, um gemeinsam und energisch gegen den „Vandalismus“ vorzugehen, der gegenwärtig von rechtsradikalen ausländerfeindlichen Gruppen verübt wird. Statt die Täter entschlossen zu verfolgen, würden die Opfer als Ursache der Gewalttaten präsentiert. Häufig habe man den Eindruck vermittelt, die Polizei sei Zuschauerin der Ereignisse. Auch die ersten Verurteilungen der Straftäter von Rostock und Eberswalde hinterließen einen „bitteren Beigeschmack“: „Das war versuchter Mord, nicht Körperverletzung oder Totschlag“, sagte Bubis. Auf Fragen von Journalisten antwortete ein sichtlich angespannter Zentralratsvorsitzender, nein, die Geschichte werde sich nicht wiederholen, die bundesdeutsche Demokratie sei gefestigt. Doch müsse der Wille vorhanden sein, den Rechtsradikalismus zu bekämpfen. Dazu reichten die existierenden Mittel und Gesetze aus: „Ich bin gegen jede Veränderung des Grundgesetzartikels 16.“

Dem asketischen Galinski folgt mit dem FDP-Mann Bubis eine Persönlichkeit, die weltoffener, liberaler und flexibler ist als sein Vorgänger. Sowohl zu CDU und SPD als auch zu den Grünen unterhält der rührige Selfmademan gute Beziehungen. Der Immobilienmakler und Geschäftsmann Bubis, in den siebziger Jahren noch als „Häuserspekulant“ unter Frankfurts Linken verhaßt, avancierte unterdessen zum „Lieblingskapitalisten des grünen Milieus“ (Micha Brumlik), der sich gegen Menschenrechtsverletzungen, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus engagiert. Im Streit um die Uraufführung des Fassbinder- Stücks „Die Stadt, der Müll und der Tod“, in dem ein „reicher Jude“ eine wichtige Rolle spielte, wurde er 1985 bundesweit bekannt, als er mit anderen Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde die Bühne der Kammerspiele besetzte. Damals saß Daniel Cohn- Bendit im Publikum und protestierte gegen die Verhinderungsaktion. „Jawohl, ich bin ein Spekulant, andere spekulieren an der Börse, ich spekuliere in Grundstücken“, sagte er damals in einem Interview. In Fassbinders Stück hatte es geheißen: „Er saugt uns aus — der Jud... wäre er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen.“

Daß Juden in Deutschland mit anderen Maßstäben gemessen werden als Nichtjuden, erfuhr Ignatz Bubis schon sehr früh. 1927 in Breslau geboren, floh die Familie 1935 vor den braunen Horden nach Polen. Die Mutter starb 1940, der Vater wurde 1942 nach Treblinka abgeholt. Der 15jährige Bubis geriet in ein Arbeitslager, nachdem bei der „Säuberung“ seines kleinen Wohnortes 300 Juden umgebracht worden waren. Sechs Tage in der Woche mußte er — unter den Schlägen der „Kapos“ — Schottersteine unter „Bahngleise kippen“. „Mit Rachegefühlen kann man nicht weiterleben“, sagte er an seinem sechzigsten Geburtstag. „Aber vergessen kann man das nie.“

Mit der Wahl von Ignatz Bubis beginnt eine neue Ära in der Geschichte des Zentralrats der Juden in Deutschland. Doch nicht nur die weltzugewandten, durchaus humorvollen Charakterzüge des Frankfurter Lokalpatrioten (er ist Vorsitzender des HR-Rundfunkrates und Konsul der Elfenbeinküste...), sondern auch das intellektuelle Klima der Frankfurter Gemeinde werden für eine andere Atmosphäre sorgen. Auch wenn Bubis bekannte, „Heinz Galinski war und ist mein Vorbild“, so werden nicht zuletzt Intellektuelle wie Dan Diner, Micha Brumlik und der Kulturreferent Michel Friedmann dafür sorgen, daß Gegenwart und Zukunft der neuen, vergrößerten Bundesrepublik schärfer ins Blickfeld der Juden in Deutschland geraten.

Ignatz Bubis verkörpert eine jüdische Geschichte, die vom Holocaust über das Nachkriegsdeutschland bis in die aktuellen Pogrome vor Asylbewerberheimen reicht. Er ist kein Mann der pathetischen Mahnungen und falschen historischen Parallelen. Gerade deshalb ist seine Kritik ernst zu nehmen. Er ist der richtige Mann zur richtigen Zeit.

Siehe auch folgendes Interview)