„Der Ali soll das Schaf schlachten“

In Rangsdorf kümmern sich der Pfarrer, eine Gruppe Einheimischer und UnterstützerInnen aus Berlin um die Asylsuchenden im Dorf/ Trotzdem gibt es auch hier jede Menge Konflikte  ■ Aus Rangsdorf B. Markmeyer

In Rangsdorf stehen die Häuser in großen Gärten. Die Kinder wachsen unter den Blätterdächern der Alleen auf und dürfen mit Opa auf dem See Boot fahren. Ihre Eltern fahren zum Arbeiten ins nahe gelegene Berlin. Im Sommer kamen UrlauberInnen aus der ganzen DDR an den Rangsdorfer Seestrand. Die fliegen nun nach Mallorca, in das Ferienlager der Chemieanlagenbau Staßfurt AG sind hundert AsylbewerberInnen eingezogen, und am Bahnhof steht in Schwarz: „Ausländer raus“.

Am Eingangstor des ehemaligen Ferienlagers kabbeln sich Rangsdorfer Mädchen mit kleinen bulgarischen Jungs, die in Wirklichkeit große Karatekämpfer sind. Bloß daß die Mädchen das nicht kapieren. Zack — eine Drehung, ein Schlag, ein Tritt in die Luft, dann ein Stolpern, und da liegen die jungen Herren, und die Damen lästern. Der Boden ist weich von Nadeln, zwischen den dunklen Kiefernstämmen und einigen Birken hat man die beige-braunen Ferienhäuser angesiedelt, in jedem drei Zimmerchen, ein Flur, ein Klo. Da wohnen die Jungs mit ihren Eltern, da wohnen auch die anderen Flüchtlinge aus 18 Nationen.

Seit einem Jahr sind die AsylbewerberInnen hier — unter ihnen auch jene, die aus Sachsen nach Berlin flohen und monatelang in der Technischen Universität ausharrten. Und „weil es in Rangsdorf immer noch besser ist als an vielen anderen Orten“, haben Reza Rassouli von SOS Rassismus in Berlin, der Rangsdorfer Pfarrer und andere UnterstützerInnen zusammen mit den AsylbewerberInnen am letzten Mittwoch beim Landrat ein weiteres Jahr herausgepaukt. Denn der Kreis Zossen wollte die Unterkunft schließen, weil für das 18.000 Quadratmeter große Gelände 31 Rückübertragungsansprüche gestellt sind und es wegen seiner günstigen Lage bei Berlin zwischen vier und sechs Millionen Mark wert sein dürfte.

„Wir haben hier gute Leute“, sagt Aschenaki Y. und meint damit sowohl die BetreuerInnen auf dem Gelände wie auch eine Handvoll RangsdorferInnen um den evangelischen Pfarrer des Ortes, Peter Schrimpf, die sich intensiv um Kontakt zwischen Einheimischen und Fremden bemühen. Schrimpf verlegt Kinderfeste, Vortragsabende oder Gottesdienste zu den AsylbewerberInnen. Die DorfbewohnerInnen besorgten Bücher für eine kleine Bibliothek, Schrimpf beschäftigt Bulgaren und Albaner als Handwerker in seiner Gemeinde, die Kinder werden zu Ausflügen eingeladen, und zur Feier des Sieges auf dem Landratsamt wird Monika Andresiak, die im Büro der Asylunterkunft arbeitet, ein Schaf kaufen — „und der Ali“, ein Bulgare, „soll es schlachten“.

Doch in den Rangsdorfer Supermarkt gehen Aschenaki Y. und seine Landsleute nach wie vor nur zu dritt. Zweimal haben Deutsche mit dem Auto direkt auf ihn zugehalten. Eines Abends kamen die Nigerianer mit geschwollenen Gesichtern und triefenden Augen zurück, nachdem Skins sie mit CS-Gas angegriffen hatten. Und nachts stehen immer ein paar Männer aus dem „Camp“, wie die Äthiopier es nennen, auf Wache. Jede Nacht schreckt Aschenaki Y. hoch. Was er jeden Tag im Fernsehen sieht, die Brandanschläge, die er vor seiner Flucht nach Berlin in Sachsen erlebt hat, sitzen ihm in den Knochen: „Das hat uns völlig verändert. Wir haben jetzt immer Angst.“

In Rangsdorf gibt es keine Anschläge. An den letzten Wochenenden ritten jeweils zwischen 50 und 100 BeschützerInnen aus Berlin ein. Sie verbringen die Nächte bei den AsylbewerberInnen, und seitdem, sagt Aschenaki Y., „fühlen wir uns nicht mehr allein.“ Am ersten Septemberwochenende hatten sich Skins aus Königs Wusterhausen angesagt. Selbst die Polizei war vorbereitet. Einige Skins wurden auch gesichtet, doch als sie die BeschützerInnen entdeckten, verschwanden sie wieder. Die Mahnwachen, an denen sich Leute von SOS Rassismus, Autonome, Rangsdorfer und Berliner SchülerInnen und die brandenburgische Naturschutzjugend beteiligen, gehen weiter.

Die Rangsdorfer Bevölkerung dagegen verhält sich gleichgültig bis ablehnend. Unter der Oberfläche aber sammelt sich Konfliktstoff, den auch Schrimpf und seine Leute kaum entschärfen können, solange der direkte Kontakt zwischen deutschen NachbarInnen und AsylbewerberInnen fehlt. Den Pfarrer rechnen Leute wie der Wirt in „Wenzels Biergarten“ glatt der anderen Seite zu: „Der tätschelt denen doch bloß den Kopf und macht, was die wollen.“

Der Wirt, der in seiner Garagenkneipe neben den Asylunterkünften „genauso Ausländer wie Skins“ bedient und gerade einem kahlgeschorenen Vertreter mit „Ku-Klux- Klan“-Hemd die Hand drückt, versucht noch zu differenzieren: „Nur ein paar von denen sind übel.“ Einige Asylbewerber fahren mit unangemeldeten Autos und 80 Sachen durch die Wohnstraße. Einen Nachbarn des Wirts, der ihnen gedroht hatte, verprügelten sie und brachen ihm den Arm. Davon wissen auch die UnterstützerInnen. Und über die Julinacht, in der Autos von Asylbewerbern ausbrannten, kursieren gegensätzliche Geschichten. Während die Autobesitzer sagen, sie seien von Skins und anderen nach einem Fest in „Wenzels Biergarten“ angegriffen worden, schwört ein 24jähriger Maurer, der auch dabei war und sich als „eher rechts“ bezeichnet, seine Kumpel seien mit einem Steinhagel empfangen worden. Und alle in Rangsdorf wissen, daß nunmehr einige Rumänen nach bemerkenswert ergiebigen Diebeszügen im Knast sitzen. Und es werden mehr, denen das reicht, um ihr Urteil über „die da unten im Ferienlager“ zu fällen.

Nicht so Marc, seine Mutter Marion J. und Sascha. Sie haben David eingeladen, essen Schnittchen, hören bei Kerzenlicht Glenn Gould. Und während Marc vom Klavierspielen schwärmt, erklärt David, der Äthiopier, Sascha, dem deutschen Schüler, auf englisch die Buchstaben des amharischen Alphabets. Ein Erlebnis, das jenen RangsdorferInnen, die mit den „Negern“ nichts zu tun haben wollen, zweifellos vorenthalten bleibt. Im Wohnzimmer der J.s geht das Gespräch bis tief in die Nacht. Alle genießen die Normalität des Abends. Freitag und Samstag nacht werden Marc und Sascha wieder im Asylbewerber-Camp ausharren, werden Wache schieben, viel Kaffee trinken und versuchen, keine Angst zu haben. „Was wir da tun müssen“, sagt Sascha, „ist uns erst nach dem ersten Mal klargeworden.“ Sascha, für jeden „Rechten“ ein „Linker“, für jeden anderen Menschen ein sensibler, intelligenter, sehnsüchtiger 18jähriger, sagt es so: „Ich bin ein ganz normaler Mensch und lebe in Deutschland im Jahr 1992. Und dann sitze ich da nachts in 'nem Auto mit 'nem Knüppel und soll hupen, wenn was passiert. Das ist doch wie Bürgerkrieg, oder?“