Hilflos gegen Pfusch im Kiefer

■ AOK läßt Mitglieder bei Kunstfehlerprozessen im Stich / Zahn gezogen — Kiefer deformiert

Seit eineinhalb Jahren durchlebt Bettina Schreier* schmerzhafte Zeiten. Die Zahl der Zahnarztbesuche kann sie nicht mehr zählen. Der am Kiefer entstandene Schaden scheint irreparabel. Bettina Schreier ist fest davon überzeugt, daß die Qualen auf mehrfachen Pfusch ihres ehemaligen Zahnarztes zurückzuführen sind. Doch bei dem Versuch, den Pfusch nachzuweisen, ist sie bislang selbst bei ihrer Krankenkasse auf Granit gebissen.

Angefangen hat das Leiden von Bettina Schreier im April 1991. Ihr Zahnarzt, ein renommierter Arzt aus der Bahnhofsvorstadt, verpaßte ihr eine Brücke. Unter dem Provisorium bildete sich eine Entzündung. Dennoch zog der Arzt wenig später den Weisheitszahn aus dem entzündeten Kiefer, ohne die Patientin über die Risiken aufzuklären oder überhaupt jemals zuvor geröngt zu haben. „Danach bekam ich eine lang anhaltende Schwellung, Fieber, Kopfschmerzen und einen einseitigen Schnupfen mit stinkendem Geruch in der Nase“, erzählt Schreier. Ihren Zahnarzt beunruhigte das nicht weiter.

Erst ein Hals-Nasen-Ohren- Arzt, den Schreier dann im August aufsuchte, schlug Alarm. Der gesamte Kiefernbereich sei verschattet, so die Diagnose und ein hinzugezogener Kiefernchirurg konstatierte: „Typischer Be

fund nach Komplikationen bei Weisheitszahnextraktion.“

Als AOK-Mitglied setzte Bettina Schreier die Hoffnung auf ihre Krankenkasse. Die leitete zwar ein Gutachterverfahren ein, doch das Ergebnis mochte sie Schreier trotz mehrmaliger Anforderung zunächst nicht mitteilen. Schließlich rückte die Kasse das Papier doch heraus. „Fachlich nicht zu beanstanden“ und „abwarten“, lautete das Fazit des

hierhin bitte die Karikatur

Gutachters auf einer halben DIN A 4 Seite. Der Versuch Schreiers, ein ausführlicheres Gutachten zu bekommen, wurde von der AOK mit der Begründung verweigert, Schreiers Zahnarzt habe auf die Kostenerstattung verzichtet.

In der AOK-Mitgliederzeitung dagegen prahlt die Versicherung mit ihrem Engagement für Schadenersatzforderungen von Kunstfehlerpatienten. „Im Streitfall“ so schreibt der Geschäftsführer der Hamburger AOK, „gehen wir mit einer Klage voran, um die Erfolgsaussichten gerichtlich klären zu lassen. Hat die Klage ganz

oder teilweise Erfolg, kann sich das Mitglied später später anschließen. Ihm bleibt dann ein Prozeßrisiko erspart.“

„Das geht uns zu weit,“ meint dagegen der Justitiar der Bremer AOK, Söller. Mit dem Thema sei in der AOK-Zeitung „sehr progressiv“ umgegangen worden. Wie weit die Bremer AOK mit ihrem Kundenservice in solchen Fällen gehen mag, das teilt die Kasse den Betroffenen nicht einmal mit. „Ansprechpartner für Kunstfehlerpatienten gibt es nicht,“ so Söller.

Patientenberatung über Kunstfehler leistet dagegen die Verbraucherzentrale, allerdings nur in Hamburg. Charlotte Huhn, eine der beiden JuristInnen in der Abteilung, weiß, daß die Schwierigkeiten von Bettina Schreier bei weitem kein Einzelfall sind. „Die Krankenkassen blocken häufig ab", berichtet sie. Und alleine beinhaltet der Gang vor die Schiedskommsion der Zahnärztekammern für die Patienten ein hohes Kostenrisiko. Anders als bei Ärzten muß der Patient das Gutachten zunächst einmal selbst zahlen. Und die Gutachter, allesamt Kollegen aus der gleichen Stadt, können vom Patienten nicht abgelehnt werden. Und den direkten Gang zum Zivilgericht kann die Patientenberatung wegen der hohen Risiken nur empfehlen, wenn Geschädigte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben. Huhn: „Es ist ziemlich schwierig Recht zu bekommen.“

Der Rechtsanwalt Wolf-Martin Nentwig, Justitar der Zahnärztekammer, sieht dagegen überhaupt keine Probleme. Es gebe nur eine ganz geringe Zahl von Schlichtungsverfahren. Und bei den wenigen Fällen habe er „noch nie ein Gefälligkeitsgutachten“ erlebt.

Da hat Bettina Schreier, deren Kieferknochen sich inzwischen massiv abgebaut hat, ganz andere Erfahrungen gemacht. „Immer wenn ich den Namen des Arztes nannte, der gepfuscht hat, wurden die Zahnärzte plötzlich sehr zurückhaltend in der Beurteilung.“ hbk

* Name von der Redaktion geändert