Berlins Senat hebt Tempo 30 auf

■ Auf 35 Straßen der Stadt darf wieder gerast werden/ SPD will „schlimmeres verhindert“ haben/ Fahrraddemo

Berlin (taz) — Wenn der Verkehr fließen soll, gehören Fußgänger unter die Erde. Und wenn's keine Unterführung gibt, so müssen sie wenigstens über die Straße sprinten. In einer bemerkenswerten Entscheidung hat in Berlin die große Koalition aus CDU und SPD am Wochenende 35 Nebenstraßen wieder für Tempo 50 freigegeben. Die CDU hatte im Wahlkampf gefordert, Tempo 30 auf vielen Stadtstraßen wiederaufzuheben, um den Verkehrsfluß zu beleben.

Die Debatte hatte vor knapp einem Jahr begonnen. In Hamburg wurde eine kleines Mädchen auf einer Hauptverkehrsstraße von einem Laster überrollt. Bürgerinnen und Bürger besetzten die Kreuzung, forderten Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsstraßen. Ähnliche Protestaktionen in Berlin schlossen sich an. Kurz darauf brillierte Berlins CDU-Verkehrssenator Herwig Haase mit Plänen, die Tempo-30-Schilder an 41 Nebenstraßen wieder abzubauen.

Ein Sturm der Entrüstung folgte. Vor allem die SPD-PolitikerInnen in den Stadtbezirken drohten mit Widerstand gegen Haases Pläne. Die Baustadträte der SPD versicherten ein ums andere Mal, sie würden alles tun, damit die Tempo-30- Schilder bleiben. 63 Prozent aller WestberlinerInnen und 71 Prozent aller OstberlinerInnen sprachen sich im Ende 1991 für Tempo 30 aus.

Die SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung hingegen schlief den Schlaf der Gerechten. Ihre Vertreter in der Koalition monierten in den vergangenen Monaten zwar mehrfach Haases Pauschalpläne, versuchen jetzt aber den Sieg des Verkehrssenators noch als ihren Erfolg zu verkaufen. Ihr verkehrspolitischer Sprecher Joachim Niklas sagte, es sei gelungen Schlimmeres zu verhindern.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bezeichnete die Berliner Entscheidung gestern dagegen als „Angriff auf das Leben“ von Fußgängern und Radfahrern. Offenbar habe der Koalitionsfrieden mit der Inkaufnahme von Verkehrstoten gekittet werden müssen. Schönebergs Baustadtrat Uwe Saager (SPD) jedenfalls wird wenig Freude an der Entscheidung haben. Die AnwohnerInnen der betroffenen Ebersstraße kündigten gestern für Freitag abend eine Fahrraddemo an. ten