Der Vergoldete, im Bremer Regen

■ Ein Stück euro-indianischer Historia bei einbrechender Dunkelheit auf dem Bremer Börsenhof

Gruppe und

Schild

„El Dorado

Gil Staugs Theatertruppe, im historischen Jahr

Sie sahen aus wie die Mönche, dicht gedrängt auf kargen Bänken, umgeben von alten Gemäuern. Sie fuhren über das große Meer, hinüber in die neue Welt, in der sie mit aufgerissenen Augen Gold sagen, viel Gold und Blut.

Sie waren die ZuschauerInnen der verregnetsten Theatervorstellung seit Gedenken, und ihre Gewänder waren aus blauen Plastik, verteilt zum Schutz gegen den unendlichen Regen. Die Sintflut fiel hinunter auf Bühne und Zuschauerraum im Durchgang zwischen der alten Baumwollbörse und der Bürgerschaft, im Schatten der kirchlichen Macht, hinunter auf das „El Dorado“ der dreißigköpfigen Theatertruppe um den Regisseur Gil Staug.

Die 30 waren Narren, die umher schlichen zwischen den unfreiwillig zur Kulisse gewordenen Zuschauern, sie hielten ihnen Laternen ins Gesicht und flüsterten ihnen durch weiße Masken hindurch verführerischen Worte unter die Haut: über jedes Leben trampelt hinweg, tut nur Eure Pflicht. Sie waren buntbemalte

Götter und im Feuer vergehende Geisterwesen. Sie waren die Heuchler, schrien mea culpa und hörten doch furchtbare Dinge in sich und Gott nicht zu Gefallen.

Doch sie gefielen dem Papst, denn sie kauften sich mit Geld von Sünden frei, mit fünf Prozent des Goldes aus dem eroberten Land. Sie waren die drei Stände, die in Eintracht das Lied des Geldes sangen: in der anderen Welt spielen andere Mächte, König und Priester streiten sich um Seelen und Taler, ewig die gleiche Partitur. Es locket die goldene Zukunft.

Die Bremer ZuschauerInnen wurden in nassen blauen Plastikplanen unfreiwillig zum Volk des 16. Jahrhunderts

Und sie waren das zerlumpte Volk, das über die Bühne schlich und in das gelobte Land übersetzte, das schwere Kisten voller Rüstungen unter drohendem Gesang über die Bühne nach Amerika zog.

Die dreißig erlebten glückliche Minuten, in denen sie eine überbordende Handlung wie Gold aus vollen Händen in die Menge warfen. Sie erlebten schwierige Minuten, in denen die Handlung und das Seil, an dem sie hing, im Bremer Wasser unterging und alles ebensogut gleich hätte aufhören können.

Und wenn auch der Untergang Südamerikas sich ebenso verhält wie die schwierigen Minuten, ein Untergang ohne Ende und ohne endgültiges Versinken ist, so wurde doch in allem jener fade Beigeschmack der Unwahrheit vermieden, der so oft Veranstaltungen zur 500jährigen Eroberung Südamerikas verdirbt: die falsche Moral, die kitschige Idealisierung der Indianer zum friedliebenden ökologischen Mustermenschen, die Verlängerung des Selbstbildes und Parteiprogramms in ferne Länder, die dort ebenso ein El Dorado sucht wie die alten Seefahrer.

Dadurch war das Schiff so leicht und behende, daß es die Sintflut überstand und im Zickzack über die Meere fuhr. Von absurden Versuchen zu einem Theater, daß den Zuschauer in sich aufzunehmen weiß, ohne ihn an das Licht des Spottes zu ziehen und bloßzustellen. Von bitterer Komik zu zu heimlicher Verzauberung, von der Vergangenheit der ihr ähnlichen Gegenwart. Sie waren die Gaukler und der König, und sie waren die nässesten Schauspieler, die je das Meer befuhren und sich tropfend vor Wasser verbeugten vor dem Applaus. mark rothensee

„Euer Kaiser mag ein großer Fürst sein, da er seine Untertanen so weit über das Meer gesandt hat ... Was den Papst betrifft, von dem ihr sprecht, so muß er wahnsinnig sein, wenn er Länder verschenkt, die ihm nicht gehören. Meinen Glauben mag ich nicht ändern. Euer Gott ist von denselben Menschen getötet worden, die er geschaffen hat. Der Meinige aber“ - so schloß er, indem er auf seine Gottheit zeigte, die gerade in voller Pracht hinter den BErgen untersank - „mein Gott lebt noch im Himmel und blickt auf seine Kinder herab.“

(Inka Atahualpa an Pizzarro/Cajamarca, 1533)