„Ich hab' da einen Verdacht“

■ Homosexualität soll an Bremer Schulen kein Tabuthema mehr sein

Wenn Eltern einen bestimmen Verdacht haben, dann wollen sie diesen Gedanken selten zu Ende denken: Daß ihr Sohn schwul, ihre Tochter lesbisch sein könnte. Für diejenigen, die doch weiterdenken, hat der Senator für Bildung und Wissenschaft gemeinsam mit der Gruppe „Eltern schwuler Söhne und lesbischer Töchter“ eine Broschüre erstellt, die in den Bremer Schulen an Eltern und Lehrer verteilt werden soll.

„Im BRD-Kontext etwas ungewöhnlich“ sei das Merkblatt, sagt Bildungssenator Henning Scherf gestern bei der Vorstellung der Broschüre. In anderen Bundesländern werde mit dem Thema Homosexualität „etwas anders“ umgegangen.

In der Tat: In den Richtlinien zum Sexualkundeunterricht des Landes Rheinland-Pfalz heißt es, Homosexualität sei „sozial nicht wünschenswert“, im Saarland wird Homosexualität zu den „abweichenden Formen der Sexualität“ gezählt, neben Prostitution und Promiskuität.

Der Schüler, der das so vermittelt bekomme, müsse zusammenschrecken, meint Walter Klicker vom Rat&Tat-Zentrum für Homosexuelle. Wie Peter Zander von der lesbisch/schwulen Jugendgruppe „come out“: „Ich wußte immer schon, mit mir ist was nicht in Ordnung. Aber Schwule tauchen ja nirgends auf - auch nicht in den Geschichtsbüchern“.

Wie übrigens das Wort „schwul“ auch im Bremer Unterrichts-Leitfaden nicht auftaucht. Davon abgesehen hebe der sich aber „angenehm“ von den Leitfäden anderer Bundesländer ab, sagt Walter Klicker.

Das Thema Homosexualität hält der Bildungssenator im ohne

hin „schwierigen und anspruchsvollen Komplex Sexualerziehung“ für „besonders anspruchsvoll“ — weil immer noch tabubeladen. In der Schule soll es daher in einem „geschützten, mit Vertrauen besetztem Raum“ behandelt werden, in dem Schüler, Eltern und Pädagogen „Beratung und Unterstützung“ finden können.

An der Broschüre haben Bildungsbehörde und Elterngruppe ein knappes Jahr gearbeitet. „Wir haben da richtig dran gefeilt“, sagt Helmut Koch von der Elterninitiative. Das Merkblatt gibt

Tips, wie Eltern ihren Kindern helfen und was sie gegen die eigenen Voruteile tun können.

Die Schüler wollen etwas über Homosexualität erfahren: „Bei einer Befragung in meiner Schulklasse stand das Thema ganz oben“, berichtet Lehrer Dieter Mahlert. Behutsam und natürlich könnten die Kollegen aber nur dann damit umgehen, wenn sie den Mut hätten, das Thema aufzugreifen. Kein Lehrer dürfe daher verpflichtet werden, das Thema im Unterricht zu behandeln, betont Ulla Müller die in der Bildungsbehörde für Lehrerforbil

dungen zuständig ist.

Und wie reagieren die Eltern, die nicht wollen, daß ihre Kinder im Unterricht über Homosexualität reden? Nach Ulla Müllers Beobachtung scheuen sie die offene Aussprache: „Die Kinder sind an dem Tag, an dem das besprochen wird, krank.“ Zu den Gesetzen des geschützten Raumes gehört in Bremer Schulen aber auch, daß der Sexualunterricht einzelne Schülerinnen und Schüler nicht in „gravierende Konflikte zu den häuslichen Vorstellungen“ stürzen soll. Dann wäre das Klassenziel verfehlt. Diemut Roether