Wie bei den Bienen, so bei den Menschen

■ „Der Geist des Bienenstocks“ — der erste Roman von Jonathan Penner, der ins Deutsche übersetzt wurde

Irgendwo zirkulierte Wasser mit einem vertrauensvollen Pfeifen.“ Wenn es draußen stürmt und das Haus dem Sturm sich knarrend entgegenstemmt, kann solch ein marginales Zeichen noch funktionierender Zivilisation immerhin noch Mut einflößen. In Jonathan Penners Roman „Der Geist des Bienenstocks“ gibt es eine Menge solcher Hinweise auf eine immer gefährdete Zivilisation; eine, die sich gerade noch gegen ihren Verfall behauptet, auch wenn sie im Innern von ihm schon erschüttert ist.

Der Bienenstock und die in ihm herrschenden Gesetze und Hierarchien sind natürlich eine treffende, vielleicht auch etwas zu deutliche Metapher für eine Gesellschaft, deren Funktionalität ins Extreme getrieben ist. Penner stellt jedem der drei Teile seines Romans einen Abschnitt aus einem Imker-Fachbuch voran, in dem bestimmte „Störungen“ innerhalb des Bienen-Gemeinwesens beschrieben werden. Die menschlichen Romanfiguren und die Konstellationen, in denen sie der Autor erscheinen läßt, bilden nun keine glatten Entsprechungen des Bienenvolkes und der es betreffenden Probleme. Ihre Verfassung und ihr Miteinander sind aber geprägt davon, nicht recht hineinzupassen in das soziale Funktionieren, das ihnen abverlangt wird. Der „Umbau der Seele“, der laut Elisabeth Lenk („Die unbewußte Gesellschaft“) „den Wunderleistungen der Ökonomie und der modernen Technik“ vorausgehe, scheint bei ihnen (sympathischerweise) im Stadium des Rohbaus steckengeblieben zu sein.

Jerry Hook — er wechselt sich als Erzähler der Geschichte mit seinem Sohn und einer auktorialen Stimme ab — ist Bienenzüchter, und es mehren sich die Zeichen, daß sein Leben nicht der Beständigkeit „irgendwo zirkulierenden Wassers“ folgt. „In dem Teil von Connecticut, in dem ich lebe — der nordöstlichsten Ecke des Landkreises Fairfield —, sollten in einer Aprilnacht eigentlich nicht zweieinhalb Zentimeter Schnee fallen.“ Der Schnee, der nicht fallen sollte, ist es nicht allein, der ihm zu schaffen macht. Vielleicht wäre der ihm gar nicht aufgefallen, wenn zum Beispiel da nicht noch das Auftauchen eines Konkurrenten wäre, der seinem Honig die Marktanteile streitig macht, oder die Drohung, sein Land müsse einem Supermarkt weichen. Dazu kommen die schwierige Beziehung zu seinem Sohn Eli und seine Unentschlossenheit im Verhältnis zu seiner Frau Helen und seiner Ex-Frau Marigolde. Alles das geht an dem Mann nicht spurlos vorbei: der Herzschrittmacher tickt schon am Horizont.

Wo und wann die Schwierigkeiten begannen, ist schwer auszumachen. Vielleicht in der Trennung von Marigolde, die als Trennung von seiner Jugend, von seiner „Geschichte“ gezeigt wird. Im Southend von Stratford, wo beide aufwuchsen, war ein fast natürliches Miteinander und ein gemeinsamer Lebensweg in einem sozial gefestigten working class- Milieu angelegt: „Nachdem wir all die Jahre in der Schule zusammen verbracht hatten, war der Übergang zum Fernsehen und zu Kissen voller Popcorn-Krümel einfach.“ Vielleicht gründet aber auch alles in Jerrys Enttäuschung über sein Versagen in der Beziehung zu seinem Sohn. Eli haßt ihn, und Eli fällt im Gegensatz zu ihm Entscheidungen. Er verläßt das College, schließt sich einer konspirativen Gruppe zur Erforschung der Wiedergeburt an, zieht zu dem psychotischen Leiter dieses Vereins, Cyril, und geht eine Beziehung zu einer geheimnisvoll stilisierten Lehrerin ein.

Die Schwächen dieses Romans liegen auf der Hand: die Funktionalisierung der in ihm vorkommenden Frauen als Verkörperungen von Lebensentwürfen; die sich über die Länge ziehende Metapher des Bienenstocks; das nicht gerade innovativ benutzte Motiv „amerikanische Mittelstandsfamilie“. Sein Reiz aber liegt in der Verdeutlichung einer tiefsitzenden Verunsicherung seiner Protagonisten. Einer Verunsicherung, die es ihnen — trotz ihrer großen Bemühungen — unmöglich macht, sich den von ihnen verlangten Verhaltensmustern anzupassen. Ein entsprechendes Bonmot liefert Jerry in dazu noch passender Holprigkeit: „Es gibt mir immer das bange Gefühl, mich übernommen zu haben, wenn jemand, von dem ich nicht wußte, daß er eine Brille trägt, sie aufsetzt.“ Martin Pesch

Jonathan Penner: „Der Geist des Bienenstocks“. Aus dem Amerikanischen von Egbert Hörmann, Steidl Verlag, 200Seiten, 32DM.