Wenn es nach Kunst riecht...

■ Was auf dem Bürgersteig liegt, muß eine gewisse Bedeutung haben. Bloß welche?

Klara Wallner ist Kuratorin. Das Wort, das einen Beruf bezeichnet, ist neulich bekannter geworden durch das Projekt »37 Räume«. Kuratoren — und eben nicht Künstler — haben zum Start der Kasseler documenta 9 gezeigt, welche Kunst ihnen in Berlin am Herzen liegt. Auch Klara Wallner hat einen der Räume gestaltet, Raum ist ohnhin ihr wichtigstes Thema geworden. Sie hat die Reihe »Space without Art« organisiert, die nichts weiter will, als aufmerksam machen auf Situationen der ästhetisch noch immer geteilten Stadt — auf eine Pumpenfabrik zuerst, dann auf die tiermedizinische Fakultät der Humboldt-Uni. Klara Wallner arbeitet schon am nächsten Konzept dieser Art. Unterwegs fiel der professionellen Kunstvermittlerin etwas auf.

Kaum verläßt man die Wohnung, das Büro oder einfach nur öffentliche Behausungen, begegnet man dem künstlerischen Stuhl schon vor der Tür. Anal(l)ogisch geformtes Kunsthandwerk, Objekte, die durchaus als exkreatorische Kleininstallationen interpretiert werden könnten, in unterschiedlichen Farbschattierungen, nach dem vielgepriesenen Beliebigkeitsprinzip angeordnet, präsentieren sich direkt und unübersehbar auf dem Bürgersteig.

Als ordentliche Rezipientin frage ich mich natürlich, was macht der Stuhl, in analer Art drapiert, auf dem Steig für Bürger? Sollte er nicht vielmehr eher an den (Straßen-)Rand des (Bewußt-)Seins gedrängt und auch dort installiert werden?

Nicht, daß ich nur in Museen und anderswo permanent mit vermeintlich zeitgenössischen Stu(e)hl(en) konfrontiert werde, nein, neuerdings auch, und das immer häufiger, auf dem Steig, der ausschließlich für Bürger reserviert sein sollte. Beim Betrachten dieser künstlichen Kleinigkeiten überkommt mich immer häufiger ein leicht irritierter Übergebungsanfall, dem ich mich allerdings nie lange hingebe, denn als moderner, kulturell gebildeter Mensch weiß ich doch, daß der Stuhl nie zufällig irgendwo liegt, sondern vielmehr immer richtungweisend und aufklärerisch den Ort der Handlung auf subtile, wenn nicht sogar hinterfotzige Art bespielt. Als ernsthafte Rezipientin also hinterfrage ich den ordentlichen Haufen, der unwiderstehlich nach Kunst riecht und mit Akribie von Künstlerhand geschaffen zu sein scheint, versuche auch herauszufinden, welch Geistesblitz den Macher bei der Produktion durchfuhr und in welchen gesellschaftlichen Kontext er das Produkt gesetzt haben könnte. Ich versuche natürlich auch den soziopolitischen Anspruch des Machers zu ergründen, rutsche aber, sobald ich ihm auf die Schliche gekommen bin, leider öfter darauf aus. Stinkend, verzweifelt und ziemlich ratlos stehe ich diesen unerotischen bürgernahen Installationen dann gegenüber und interpretiere diese stinkenden Multiples (es müssen Auflagen sein, und zwar unlimitierte, denn man sieht sie zuhauf) als subversiv penetrantes Ärgernis.

Doch kurz darauf schleicht sich pflichtbewußt die Frage »Kann den exkretorische Art ein Ärgernis sein?« in mein Unterbewußtsein, und ich konsterniere als ordentliche Rezipientin »Natürlich nicht!« Denn nur, weil eine Installation riecht, ist sie noch lange kein Ärgernis. Immerhin haben berühmte Tiere, wie zum Beispiel Manzoni und eines hieß, glaube ich, mit Vornamen Joseph (Gott, wie war doch nur sein Familienname?), ganz andere Dinge zu (Stuhl-)Art erklärt. Gut, gestunken hat es manchmal schon, wenn auch nur zum Himmel...

Wie dem auch sei, weiß ich doch auf jeden Fall seitdem, und auch seit der diesjährigen, aktuellen Stuhlpräsentation (die, die uns alle fünf Jahre beschert wird), was so alles im zeitgenössischen Sinne, exkrementarisch sein kann, auch wenn es nur so rumanalt. Und ob analt, oralt oder gar gemalt, diese parasitären Plagiate der Postmoderne sind nicht nur mein privates, möglicherweise banales Ärgernis. Nein, diese Polypen avancieren demnächst, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, zum öffentlichen Ärgernis, und zwar in ihrem Dasein schlechthin. Denn in ihrer Konstitution, ob basisdemokratisch im kuratierenden Sinne oder emotional kopflos arrangiert, überfrachten sie nicht nur den öffentlichen Raum (es gibt immer noch Westmacher, die östliche Steige für Bürger bestuhlen, und das nennt man dann selbst 1992 noch »Arbeit im Ost-West-Dialog«), sondern immer grassierender auch Kultpaläste, quasi Dialogarbeit im neopostmodernen Kontext. Dialoge ganz moderner Art, und das in ost- und westeuropäischem Produzentenmix, entstehen heute allerdings nicht nur ausschließlich auf der Straße, nein, man hat die Dramaturgie in altehrwürdige Kunsthallen verlegt. Dort entstehen dann Dialoge ganz besonderer Art, indem diese Produzentenmixtur ihre stinkenden Haufen völlig ignorant und unsensibel zwischen und vor den ehrfurchterregenden Gemälden alter Meister hinterlassen: wie man unlängst auf der Museumsinsel riechen konnte.

Ich frage mich, wo das noch hinführen soll?

Wenn die Produzenten, gleich welcher Gattung, nicht bald an die Leine genommen werden und ihre kuratierenden Halter demnächst nicht für Zucht und Ordnung sorgen, dann werden wir mit designtem Stuhl in absehbarer Zukunft zuexkrementiert, und diese fragwürdigen Haufen verkommen dann möglicherweise noch zur Kunst. Wenn also diese Haufen weiterhin so wahllos ausgesetzt werden können, ob intellektuell philosophisch oder nach platter verbalakrobatischer Manier untermauert (s. Katalog zur berühmten Haufenschau in Hessen), dann verkommt der Stuhl nicht nur zur Kunst, sondern wird dann tatsächlich zum öffentlichen Ärgernis. Klara Wallner