GESCHICHTE
: Wo bleibt die Tat?

■ Warum Salman Rushdie nicht in den NRW-Landtag eingeladen wurde

Das dänische Parlament hat vorgemacht, wie es sein sollte. Es lud den verfemten und von Killerkommandos des Iran bedrohten Schriftsteller Salman Rushdie aus seinem Londoner Versteck in das Folketing nach Kopenhagen ein. Rushdie konnte sich dort als Mensch und Schriftsteller in Erinnerung bringen, als einer, der mehr ist als nur ein „Fall“ für die öffentlichen Medien. Dadurch wurde das politische Schweigen zu dem mittelalterlichen Verfahren, einen sogenannten Häretiker für vogelfrei zu erklären, gebrochen. Durch ihr praktisches Verhalten bekannten sich die dänischen Parlamentarier zu den Menschenrechten und der Freiheit der Kunst.

Dem von der Gleichgültigkeit der politischen Zeitläufte mindestens ebenso wie vom Mordbefehl Bedrohten wird die schützende Öffentlichkeit eines europäischen Parlaments endlich zuteil. Eine moderne demokratische Einrichtung wird so symbolisch zur Wartburg im Kampf gegen religiösen Fanatismus und Unduldsamkeit. Der Verfolgte kann Hoffnung schöpfen, daß die Europäer ihn im Kampf für die Freiheit des Denkens und der Phantasie nicht alleine lassen.

Nach dem Willen der Grünen in NRW sollte diese notwendige wie eindrucksvolle Geste in Form einer Einladung auch von dem Landtag in Nordrhein-Westfalen kommen. Die erneute Erhöhung des auf Rushdie ausgesetzten „Kopfgeldes“ lieferte den letzten Anstoß. Intendiert war auch, den Bann der offenen politischen Untätigkeit so auch möglicherweise für Bonn zu brechen. Die Landtagspräsidentin wurde in einem Brief aufgefordert, sich dem dänischen Beispiel anzuschließen und sich auf die Seite Rushdies zu stellen. Gleichzeitig wurden die kulturpolitischen SprecherInnen aller Fraktionen und die Kulturausschußmitglieder gebeten, diese Initiative nachdrücklich zu unterstützen. Des weiteren schlugen die Grünen vor, in einem gemeinsamen Aufruf den Ministerpräsidenten von NRW, den Bundeskanzler und die Mitglieder des Initiativkreises Ruhrgebiet aufzufordern, bis zur Zurücknahme des Todesurteils gegen Rushdie und der Beendigung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Iran jeden erdenklichen wirtschaftlichen und politischen Druck auszuüben.

Was dabei letztendlich herauskam? Die Präsidentin lehnt es ab, eine Einladung an Rushdie auszusprechen. Das macht sie nicht schriftlich oder mündlich mit einer entsprechenden Begründung, sondern läßt über den kulturpolitischen Sprecher ihrer Fraktion ausrichten, daß sie dazu nicht bereit sei. Der wiederum schlägt vor, man könne allenfalls und ersatzweise einen Brief an den Bundespräsidenten formulieren mit der Absicht, er möge das „Menschenverachtende der Politik des Iran herausstellen“, Absender: der Kulturausschuß des Landtags. Nachdem von Mitgliedern der CDU und FDP erst für Nichtzuständigkeit des Landtags und des Kulturausschusses plädiert wird, akzeptiert man den SPD-Vorschlag als Minimalkonsens: „Der Kulturausschuß des Landtags verurteilt den Mordbefehl gegen Rusdhie“, heißt es unter anderem in dem Brief an Weizsäcker. Die Landtagspräsidentin macht den Brief öffentlich im Rahmen einer Presseerklärung.

Ja, das ist etwas, und ist doch nichts, gemessen an dem, was Politik leisten könnte und müßte! Für die Beruhigung des politischen Gewissens, auch des sozialdemokratischen, hat man jetzt in NRW sogar eine Resolution, auf die man moralisch verweisen kann. Im politischen Alltag jedoch zählt diese Verlautbarung wenig. Dementsprechend wurde sie von den Medien gleich als das erkannt und behandelt, was sie ist, nämlich ein Stück Papier ohne politische Selbstverpflichtung und deshalb nicht der Beachtung wert. Wo bleibt die Tat?

Beeindrucken können den Iran nur politische und wirtschaftliche Sanktionen und ein Rückzug aus dem zur Zeit wieder einmal blühenden Exportgeschäft, das wegen unbegrenzter Hermeskredite der Bundesregierung risikolos für die deutsche Wirtschaft eingegangen werden kann. Führend in diesem Geschäft zum Beispiel die Daimler-Benz AG, die sich insbesondere auch über eine Tochtergesellschaft bei der Aufrüstung des Iran engagiert.

Dieses Großunternehmen sitzt in dem „Initiativkreis Ruhrgebiet“. Es versucht, sich mit RWE, Thyssen, Mannesmann, Deutsche Bank einen Namen zu machen über Kultursponsoring und andere Initiativen für die im Strukturwandel befindliche und entsprechend empfindliche Region Ruhrgebiet. Manche erinnern sich vielleicht, daß das Ruhrgebiet nicht zuletzt durch die Unternehmenspolitik einiger oben Genannter in die Krise geraten ist.

Thyssen hat vor einem Jahr dem Iran ermöglicht, sich in Düsseldorf in einem Kulturfestival als Kulturnation zu präsentieren. Von einem Protest der Landesregierung ob dieser PR-Veranstaltung für ein Terrorregime im Herzen der Landeshauptstadt nicht die geringste Spur.

Schwamm drüber! So ist es der SPD-Landesregierung in NRW am liebsten. Sie versöhnt lieber, als daß sie spaltet. Und das auch da, wo die Geister sich spätestens scheiden müßten. Das macht die Reaktion der Landtagspräsidentin verständlich: Es gilt, Rücksicht zu nehmen auf die gute Kooperation mit unseren Großunternehmen in NRW. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Umgekehrt wird ein Schuh draus, meint die Bundesregierung und mit ihr unser Wirtschaftsminister im NRW-Morgenmagazin des Westdeutschen Rundfunks: „Wir müssen die ökonomischen Kontakte nutzen, um auch die Menschenrechtssituation im Iran zu verbessern.“ Au fein!

Bleibt nur nachzutragen, daß unser Bundespräsident anläßlich des Besuchs des iranischen Außenministers sicherlich mit Engelszungen reden, aber nichts erreichen wird. Brigitte Schumann

Grünes Mitglied des Landtages in Nordrhein- Westfalen