Eine Art Markenartikel

■ Die inflationäre Publikation von Texten aus dem Nachlaß ruiniert Hemingways Ruf

Alle Jahre wieder das gleiche Spiel. Alle Jahre wieder wird ein „neuer Hemingway“ annonciert, erscheint ein neues Buch aus dem Nachlaß und geht als biographisch entlarvende oder literarische Sensation um die Welt.

Alle Jahre wieder: kleine und ein wenig schmierige Darbietungen aus der Welt der Verlage, die nach wie vor gute Geschäfte mit den ungedruckten Manuskripten ihres Autors machen.

Am 2.Juli 1961 nimmt sich Ernest Hemingway in Ketchum im Bundesstaat Idaho das Leben. Seitdem werden etwa im Zweijahresrhythmus unveröffentlichte Texte, Kurzgeschichten, Briefe und Korrespondenzen, ganze Romane und auch journalistische Arbeiten von ihm auf den Markt gebracht. Hemingway ist offenbar, so der Amerikanist Peter Nicolaisen, „zu einer Art Markenartikel geworden, dessen Name hohe Auflagen und Absatzchancen garantiert“.

Zuletzt erschien 1986 der aufsehenerregende Roman Der Garten Eden, der ursprünglich wohl um die 1.500 Seiten lang war und den Hemingway selbst ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen hatte. Scribners in New York und Rowohlt bei Hamburg druckten ihn jedoch ohne Erbarmen, nachdem man den Text um mehr als 1.200 Seiten gekürzt und auf eine ziemlich belanglose Dreiecksgeschichte rund um die bisexuelle Liebe und den Rollentausch im Bett zusammengestrichen hatte. Nun — nachdem Anfang des Jahres ein weiteres „literarisches Juwel“, nämlich diverse Zeitungsreportagen des jungen Hemingway, aufgetaucht waren — ist es mal wieder soweit. Der Verlag bei Hamburg präsentiert „eine kostbare Novität für deutsche Leser“ und zitiert John Updike, der den angeblich so frischen Stil des vorliegenden Buches lobt, tatsächlich aber seine Komplimente für die Rezension eines ganz anderen Werkes formulierte.

Zehn verschiedene Geschichten sind hier zu einem Buch zusammengefaßt: einige von gekünstelten Dialogen ruinierte Short stories sowie diverse nebeneinandergestellte Kapitel aus einem unvollendet gebliebenen Roman und schließlich noch einige vorbereitende Skizzen für ein Buch, das 1971 unter dem Titel Inseln im Strom bereits erschienen ist. Ingesamt sind die Geschichten, die erzählt werden, eher belanglos, ohne jene melancholische und immer etwas merkwürdige Stimmung, die andere und bessere Texte des Schriftstellers durchzieht. Berichtet wird hier von endlosen Fahrten über endlose amerikanische Autobahnen, von Gesprächen mit einem Mädchen, das der Ich-Erzähler „Bratchen“ oder einfach „mein Mädchen“ nennt und nur ganz selten Helena, weil sie diesen Namen nämlich nicht mag. („Nenn mich nicht Helena. Nenn mich mein Mädchen.“)

Auch Drinks werden diverse gemixt auf dieser und anderen Reisen. Und Schinkeneier gebraten. Auf einer Bahnfahrt flieht ein Sträfling aus dem dahinfahrenden Zug, springt durch ein Fenster, nachdem er seinen Bewacher niedergestochen hat. Und an anderer Stelle leidet eine Frau, weil Krieg ist und sich die Soldaten massakrieren und ein gewisser Johnny, Soldat, kommentiert: „Eine Frau, die von einem Angriff nicht umgehauen wird, ist keine Frau.“ Und zu ihr gewandt: „Du bist kein Mann. Du bist eine Frau. Bring das nicht durcheinander.“ So geht das in einem fort, immer hart an der Grenze zur Selbstparodie. Alles erscheint etwas unfertig und trotz der exzessiv eingesetzten rhetorischen Effekte ausgesprochen flüchtig formuliert, blaß und leer. Nicht von der gewohnten Größe, von der sonstigen erzählerischen Kraft, die ja darauf beruht, daß meinetwegen Banales und Alltägliches wie ein Frühstück in irgendeinem Straßencafé oder ein Nachmittag beim Forellenfischen so dargestellt wurden, daß große und symbolträchtige Geschichten entstanden. Man erinnere sich nur an die berührenden Erzählungen eines nach einem Jagdunfall allmählich sterbenden Schriftstellers in Schnee auf dem Kilimandscharo, man denke an Fiesta, den ersten Roman, der von Stierkämpfen und der Unmöglichkeit einer erfüllenden Liebe handelt, und schließlich all die anderen Kurzgeschichten aus Kuba, Afrika und Key West, die um so gewaltige Themen wie Liebe, Lebenssinn und Tod kreisen.

Auch in dem nun vorliegenden Buch geht es selbstverständlich um nichts anderes. Nur ist der Autor mit den großen Fragen, den großen Gefühlen in diesen Texten peinlich abgestürzt, hat Kitsch geschrieben, der voll ist von billigem Machismo. Wahrscheinlich hat er dies selbst geahnt, hatte bis zum Schluß, als er schon nicht mehr schreiben konnte, geplagt von Paranoia und Versagensängsten, noch immer ein untrügliches Gespür für gute und gelungene Texte und hat deshalb die weniger Guten nicht zum Druck hergegeben. Es ist nun offenbar Ziel seiner Verleger und der beteiligten Erben, seinen Ruf als sorgfältig arbeitender Schriftsteller durch Veröffentlichungen aus dem Nachlaß zu ruinieren. Bernhard Pörksen

Ernest Hemingway: Neues vom Festland · Stories. rororo 1992, 188Seiten, 9,80 DM