■ INTEGRITÄTSZERTIFIKATE ALS PERSILSCHEINE FÜR SCHULDBEWUSSTE OSSIS
: Little Goldfinger ganz groß

Little Goldfinger ganz groß

Hamburg (taz) — Wie wird man reich? Wie lernt man die raffinierte Kunst des Geldverdienens? Wie häuft man endlos Kapital? Hans-Jürgen Fels lehnt sich zurück und überlegt. „Also“, sagt er, „hier ein paar Tips für die Leser Ihrer Zeitung: Man muß jeden Tag hellwach sein, seine Chance nutzen, sich nicht auf andere verlassen. Man braucht ein Gefühl für Trends. Man muß die Bedürfnisse, die die Menschen haben, förmlich spüren können.“

Hans-Jürgen Fels, der eigentlich in Berlin als Privatdetektiv arbeitet und 45 Jahre alt ist, hat diesbezüglich ganz offensichtlich ein ziemlich gutes Gespür. Er hat sich im richtigen Moment an der Nachfrage orientiert und im Sommer vor zwei Jahren im 'Neuen Deutschland‘ an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine auf den ersten Blick recht merkwürdige Anzeige aufgegeben. „Verleumdung? Rufmord? Schützen Sie sich davor: Unsere Integritätszertifikate verhindern, daß Leistung von gestern zur Schuld degradiert wird“, hieß es da im Hausblatt der ehemaligen SED. „Auch in Problemfällen sichern wir Ihre Karriere absolut vertraulich.“

Die drei Anzeigen zum Preis von 1.000 Mark reichten als Eigeninvestition völlig aus. Das Echo war enorm. Über 1.500 mit ihrer Vergangenheit offensichtlich unzufriedene DDRler sprachen im Berliner Büro von Fels vor, ließen sich ausfragen und erhielten — nachdem die mehr oder minder umfangreiche Recherche zur Person offiziell abgeschlossen war — ein sogenanntes Integritätszertifikat. Preis: um die 650 Mark. Ein Drittel der Leute war bei der Stasi beschäftigt, berichtet Fels, andere hatten eher gelegentlich Spitzel-Berichte verfaßt und waren nun — noch bevor die Gauck-Behörde die Akten zugänglich machte — voller Angst. „Wir haben ihnen geholfen“, meint Fels im Ernst, „wir waren für viele das rettende Ufer, der letzte Strohhalm. Eine Instanz, die Verständnis hatte für die Sachzwänge des Systems. Ich finde, man darf nicht pauschal jeden Hochschuldirektor, jeden kleinen Angestellten, jeden Gaststättenbesitzer, der eben auch mal einen Bericht schreiben mußte, verurteilen. Ich liebe die Stasi-Leute nicht, aber ich kann sie verstehen.“

Entsprechend zaghaft formulierte er seine „Integritätszertifikate“, schickte an mögliche Interessenten Blankoscheine, in denen etwa zu lesen stand: „Werner Rudi S. verstieß im Rahmen seiner Berufsausübung zu keiner Zeit gegen international anerkannte Bestimmungen der Menschenrechts-Charta. Für den Einsatz in marktwirtschaftlich verantwortlicher Position ist er in hohem Maße geeignet. Werner Rudi S. ist uneingeschränkt integer...“

So in etwa werden dann wohl auch die Berichte, die er über seine Kunden verfaßte, ausgesehen haben; Persilscheine für jene, die sich moralisch diskreditiert hatten und nun gerne eine gestempelte Urkunde haben wollten, die ihnen zu beweisen schien, daß doch alles nicht so schlimm war. Fels hat auf diese Weise kräftig Geld verdient. Wieviel genau, mag er nicht sagen. „Es heißt, ich hätte damit vier Millionen Mark verdient. Ich will mich dazu nicht äußern, nur soviel: es war weniger.“

Jedenfalls genug. Fels kann sich mit diesen und anderen Einkünften ein gutes Leben erlauben, ist bekennender Gourmet, der sich mehr und mehr aus dem Detektivgeschäft zurückzieht und der in seiner Freizeit einfach am Swimmingpool seines Hauses sitzen möchte, in Ruhe und alleine und ein Buch über die Stasi schreiben. Er meint, ein solches Thema liege wohl im Trend, er habe da so ein Gefühl. Es soll ein politisches Märchen werden, auch ein Titel steht schon fest: Daumenschrauben und Schalmeien — wahrscheinlich ein Bestseller... Bernhard Pörksen