Offene Räume — geschlossenes Denken

■ 21. Runde im Stadtforum/ Ostsiedlungen als Projektionsfläche der Investoren: »Perversion der europäischen Stadt«/ Debatte um Leninplatz/ Ministergärten: Grünzone oder Ländereinrichtungen

Welche Vorstellungen existieren bei Architekten und Planern, damit aus den zahlreichen unwirtlichen Brachen, Plätzen und Straßen Berlins wieder lebendige Stadträume werden? Können etwa so unmaßstäbliche Bereiche wie der ehemalige Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen) oder die einstigen Ministergärten zu Orten der Kommunikation verwandelt werden, und gibt es für die breiten Schneisen der östlichen Wohnsiedlungen die Chance, durch Planungen der Investoren zu funktionalen und symbolischen Schwerpunkten des Quartiers zu werden? Es gibt wenig Anlaß zur Hoffnung, wie auf der 21. Runde des Stadtforums zu hören war.

Im plattenwüsten Wohnbezirk Hohenschönhausen beispielsweise präsentieren die Investoren nur sich selbst. Freiflächen, selbst Gehwege werden mit werbewirksamer Corporate Identity besetzt. »Öffentlicher Raum«, polterte der Architekt Urs Kohlbrenner, »wird dort ebenso wie bei den Planungen zum Potsdamer Platz nur suggeriert.« Vielmehr entzögen die Einrichtungen der Investoren der Öffentlichkeit den Stadtraum.

»Das ist die Perversion der europäischen Stadt.« Statt spiegelnder Versorgungseinrichtungen, glitzernder Passagen und puppigen Wohnumfeldverbesserungen müßten die Großsiedlungen aus dem Gefüge des vorhandenen Städtebaus weiterentwickelt werden. Die »Implantation westlicher Strukturen« zerbreche die dort existierenden Formen mehr, als daß diese von Bausünden geheilt würden.

Kohlbrenners Überlegungen erscheinen nicht allein mit Blick auf die Großsiedlungen evident. Vier im Stadtforum vorgestellte Gutachten zum ehemaligen Leninplatz bestätigen zum Teil die Befürchtungen. Nach der Schleifung des Lenin- Denkmals soll die Henselmann-Figur mit ihrem weiten Platzraum und den kurvigen Wohnzeilen umgestaltet werden. Der Platz — heute eher eine Verkehrskreuzung denn ein Ort des Wohnens — fällt der »Verschönerung« anheim. Solitäre und dekonstruktivistische Scheiben, Medienkarussells und lustige Planschbecken verschieben die vorhandene Bebauung in den »Hinterhof«, wie die Anwohner befürchten.

Die Sorge ist berechtigt, schon des Sprachgebrauchs wegen. So forderte der Bonner Publizist Tilmann Buddensieg, daß beim Leninplatz eine »neue Dimension« in den »Leerraum eingebracht« werden müsse. Notwendig sei der »Angriff« auf ein »Musterbeispiel sozialistischen Städtebaus« — eine Haltung, gegen die sich der Chef der Berliner Architektenkammer, Cornelius Hertling, zur Wehr setzte: Die räumliche Großzügigkeit müsse erhalten bleiben und dürfe nicht in Kleinteiligkeit zurückverwandelt werden. »Die Rückwandlung in die mittelalterliche Intimität wirkt geradezu lächerlich.«

Gänzlich offen erschien im Stadtforum der Ausgang der Debatte um die Bebauung der ehemaligen Ministergärten entlang der früheren Wilhelmstraße und die geplante Errichtung eines »nationalen Holocaust- Denkmals« in unmittelbarer Nachbarschaft der zerstörten »Neuen Reichskanzlei« Hitlers. Der »historische Freiraum aus städtischen Palais und Gärten«, so der Landschaftsplaner Ingo Kowarik, müsse für die Zukunft wiedergewonnen werden — doch nicht als abgeschlossener privater Ort, sondern als öffentlicher Raum und »städtische Grünzone zwischen der inneren Stadt und dem Tiergarten«. Die »Hypothek der Neuen Reichskanzlei verbiete zugleich eine Rekonstruktion der Ministergärten«, sagte Kowarik.

Eine Diskussion um die Rekonstruktion der ehemaligen Ministergärten indessen erscheint müßig: Kaum mehr als Erinnerungen sind von den wunderbaren Palais und Gartenstrukturen geblieben. Von den Ämtern preußischer Politiker und Reichskanzler fehlt jeder Hinweis in der Topographie des Stadtgrundrisses. »Es erinnert nichts mehr an die repräsentativen Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts«, sagte der Stadtgeschichtler Wolfgang Schäche. Rudimente finden sich dagegen von den Planungen nationalsozialistischer Architektur: Görings Luftfahrtministerium (Rohwedder- Haus), Goebbels' Ministerium für Propaganda, die Keller des Prinz-Albrecht-Palais sowie die SS-Wachmannschaftsräume nahe der »Neuen Reichskanzlei«.

Gegen die Begehrlichkeiten des Bundes, der an dieser Stelle ein Ministerium errichten will, wandte sich Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer. Dem Ort und seiner Geschichtlichkeit entspräche vielmehr die Unterbringung der Ländervertretungen. Ein »Übergehen der historischen Spuren«, so Hassemer, sei zudem »unmöglich«. An der Stätte zentraler Kriegs- und Mordplanung soll nach dem Willen der Publizistin Lea Rosh ein »nationales Holocaust- Denkmal zur Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden« entstehen. Das Denkmal, etwa in der klassischen Form einer großen Skulptur, müsse am »Ort der Entstehung, Planung und Ausführung« die Vernichtung der Juden »emotional erlebbar« machen. Heftige Kritik mußte sich die Initiatorin für ihre Pläne gefallen lassen, schlössen diese doch die anderen Verfolgtengruppen des deutschen Faschismus aus. Zugleich seien die Überlegungen emotionaler Inszenierung nicht angemessen. Trauerarbeit, sagte die Journalistin Stefanie Endlich, müsse dagegen zu einem vernünftigen Handeln befähigen. Rolf R. Lautenschläger