Für alle etwas, für niemanden genug

Ein Rückblick auf das Frauen-Forum in Rio de Janeiro  ■ VON CHRISTA WICHTERICH

Sie begannen mit einer Hommage an den „weiblichen Planeten“. In der Nacht vor Konferenzbeginn tanzten Hunderte Frauen am Leme-Strand von Rio de Janeiro um Früchte, die im Sand wie ein buntes Fruchtbarkeitsgebinde arrangiert waren, entzündeten Kerzen für Yemanjá, die afro-brasilianische Göttin des Meeres, und warteten auf den Sonnenaufgang überm Zuckerhut.

Das Fest war Auftakt zu einer heißen zwölftägigen Debatte der „Planeta Femea“. Das Veranstaltungszelt, der „weibliche Planet“, war das größte und meistbesuchte des Global Forum, der kreativ-chaotischen Alternativveranstaltung von Nicht-Regierungs-Organisationen. Bis spät nachts wurde analysiert, gestritten und Konsens gesucht. Als aus Geldmangel der Strom abgestellt und nicht mehr simultan übersetzt wurde, diskutierten die Frauen ohne Mikrophone und mit Flüsterübersetzung weiter — bis sie heiser waren.

Überall haben Frauen im Austausch mit der Natur wertvolles Erfahrungswissen gesammelt, dessen Weiterentwicklung ihr Überleben gesichert hat, bis die verheerenden Wirkungen der modernen Entwicklung die Existenzgrundlagen zerstört und die Kenntnisse der Frauen entwertet haben. Diese Kenntnisse, Fähigkeiten und Technologien sind örtlich angepaßt. Das bedeutet nicht nur verschieden, sondern auch nicht übertragbar. Doch die Erfahrung gesellschaftlicher Marginalisierung und der Gewalt, mit der die wirtschaftliche Entwicklung die Natur und das Leben der Menschen bedroht, ist die Gemeinsamkeit der Frauen. Aus einem Spektrum von Betroffenheiten, Interessen und politischen Analysen ragten immer wieder zwei Positionen heraus, die sich an zwei Personen festmachen lassen. Da ist einmal Bella Abzug, ehemalige Abgeordnete im US-Kongreß, die mit markiger Stimme und manchmal eiserner Hand rasch Kompromisse herbeizuführen weiß. Sie gehörte zu den Veranstalterinnen des „Welt-Frauen-Kongresses für einen gesunden Planeten“ im November letzten Jahres in Miami und hat mit unerschöpflicher Energie auf den UNCED-Vorbereitungstreffen durchgesetzt, daß Frauen in den UN- Dokumenten überhaupt vorkommen. Optimistisch verbreitet sie die Botschaft, Frauen könnten „die blutenden Wunden von Mutter Erde“ heilen, wenn sie nun endlich Gleichberechtigung in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem aber in den politischen Entscheidungsprozessen erführen. Dann könnten sie ihre Werte durchsetzen, Militarismus, umwelt- und frauenfeindliche Industrien, die Auswüchse der freien Marktwirtschaft und des Nord-Süd-Gefälles aus der Welt schaffen.

Peggy Antrobus, Wissenschaftlerin aus Grenada, setzt nicht auf eine Gleichberechtigungs- und Nachholstrategie. Als sie 1975 in der Regierungsdelegation von Grenada an der ersten UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko teilnahm, war ihr unverständlich, was Frauenprobleme mit der Forderung nach einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ zu tun haben könnten. Inzwischen hat sie im Rahmen von DAWN, einem Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen aus dem Süden, eine Analyse erarbeitet, die die wirtschaftliche Makro-Ebene — Umweltzerstörung — und die Mikro- Ebene privater Haushalte und der Geschlechterbeziehungen im Zusammenhang betrachtet. Für sie ist es nicht nur das weibliche Geschlecht, sondern die Verzahnung von Entwicklung und Umwelt, die vor allem arme Frauen im Süden durch die Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen machen, die Frauen für ein umweltfreundliches Entwicklungsmodell prädestiniert. Sie glaubt auch nicht an eine große Wende, wenn Frauen Positionen in Institutionen wie der Weltbank besetzen, sondern hofft auf eine Vernetzung von Frauen- und Umweltbewegungen, die den Lügen und Mythen von Regierungen, internationalen Institutionen und Multis ein Ende bereiten.

Um die Entlarvung von Unwahrheiten ging es auch im Frauen-Zelt. Dort wurde über die Ursachen der Umweltzerstörung gesprochen — dazu gehören Militarismus und Atomtests. Frauen aus der pazifischen Region berichteten über viele Fehlgeburten und die Mißbildungen von Föten wie den Jelly-Babies, die keinen Knochenbau entwickeln. Sie erzählten, daß Frauen auf manchen Inseln Fisch vor der Zubereitung auf eine Wäscheleine hängen: nur wenn er Fliegen anziehe, sei er genießbar. Trotzdem schwiegen alle Regierungen über die seit 1957 stattfindenden Nuklearversuche.

Eine andere Ursache von Umweltzerstörung, die die Regierungen des Nordens auf dem Gipfel ausklammerten, ist der Komplex ungerechter Weltmarktpreise, Verschuldung und Strukturanpassung. Afrikanerinnen und Lateinamerikanerinnen berichteten, wie ihre Selbstversorgung durch Raubbau an den Ressourcen und Exportproduktion zur Devisenerwirtschaftung unterlaufen wird — und daß sie in dieser wirtschaftlichen Krisensituation weniger Chancen haben, Rechte wie beispielsweise Landrechte zu bekommen. Gemeinsam war den Frauen das Interesse an einer dauerhaften Sicherung der Lebensgrundlagen Nahrung, Wasser, Luft und Boden.

Greifbares Resultat der Debatten waren drei Dokumente. Die Frauen verabschiedeten eine Deklaration, die ihre Zusammenfassung von Umwelt- und Frauenproblemen beinhaltet, eine Vertragsvorlage über Frauen und ihre Sicht eines „gerechten und gesunden Planeten“ und eine über Bevölkerung. Die beiden Vertragstexte sind Beiträge zu dem Vertragswerk, das die Nicht-Regierungs-Organisationen auf dem Global Forum als Alternative zu den verwässerten Regierungsabkommen erstellten. Der Anspruch, daß Frauen ihre Interessen in den Verhandlungen zu allen Verträgen von Fischerei bis zu Multis geltend machen, wurde nicht eingelöst. Nicht für alle Themen fanden sich Fachfrauen — oder sie konnten sich nicht durchsetzen. So wurde es etwa abgelehnt, einen Protest gegen Sex-Tourismus, Frauen- und Kinderhandel in den Welthandelsvertrag aufzunehmen.

Nach heftigen Kontroversen lehnten die Frauen in ihrem Vertragstext über Bevölkerung jede von Regierungen oder internationalen Organisationen initiierte Bevölkerungskontrolle ab und forderten ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihre Körper und Fortpflanzung, das die Beseitigung von Armut und Umweltzerstörung ebenso voraussetzt wie erweiterte Lebenschancen, bessere Gesundheitsversorgung und den Zugang zu Verhütungsmitteln.

In den Frauen-Vertragstext über den gerechten und gesunden Planeten wurden zwar die zentralen Anklagepunkte zur Hauptursache von Umweltzerstörung aus der Frauen- Agenda 21, die auf dem Kongreß in Miami verabschiedet wurden, übernommen. Den Forderungen nach einer neuen Ethik im Umgang mit der Natur und nach einer alternativen Weltwirtschaft ist jedoch die radikale und visionäre Spitze abgebrochen und statt dessen der Akzent auf eine stärkere Partizipation der Frauen verschoben worden.

„Wir Frauen wollen Umweltschäden nicht nur in Ordnung bringen, wir wollen verhindern, daß sie verursacht werden“, hatte Wangari Maathai, Leiterin der Grüngürtel- Bewegung in Kenia, als Anspruch des Frauen-Forums formuliert. Doch wie geht es weiter nach Rio?

Die Frauen waren nach Rio gekommen, um Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen, um Kontroversen weiterzuführen und um die Debatten, die auf dem Kongreß in Miami geführt wurden, zu vertiefen und politische Handlungsstrategien zu entwerfen. Die podiumslastige Mammutveranstaltung war für alle etwas und für niemanden genug. Asiatinnen fühlten sich auf den Podien unterrepräsentiert, Afro- Brasilianerinnen beklagten einen nicht nur heimlichen Rassismus, Lesben blieben unbeachtete Randgestalten. Eine Reflexion, ob Frauen nun wirklich die besseren Umweltschützerinnen sind, fand überhaupt nicht statt — und Entwürfe politischer Aktionen kamen zu kurz.

Verbraucherinnenkampagnen und Konsumboykotte mit dem Ziel, den Überkonsum im Norden zurückzuschrauben, war eine der Antworten auf die Frage, wie Frauen sich in Zukunft für ein umweltfreundlicheres Produzieren und Konsumieren engagieren könnten. Beispiele sind Initiativen zur Direktvermarktung von Lebensmitteln in Schweden und Japan sowie Kampagnen zu „grünem Konsum“ und Konsumabbau wie die der britischen Umweltorganisation WEN. „Frauen in Großbritannien tätigen 87 Prozent aller privaten Einkäufe. Wir wollen, daß sie ihre Macht nutzen“, sagte Claire Flenley von WEN. WEN veröffentlichte ein Buch über den umweltschädlichen Lebenslauf von Wegwerfwindeln: von der Produktion aus tropischen Regenwäldern in Asien über die Chlorbleichung bis zu den Entsorgungsproblemen — zumindest mit dem Erfolg, daß die Produzenten die Chlorbleichung einstellten.

In den Diskussionen war von Patriarchat und Feminismus ebensowenig die Rede wie vom Kapitalismus. So war es überraschend, als eine brasilianische Gewerkschaftsvertreterin den Sexismus in der eigenen Organisation ansprach, und daß in der Diskussion über den Abschied von Wegwerfwindeln gefordert wurde, daß nicht nur Frauen Windeln wechseln und waschen.

Die Stärke der Debatten lag jedoch in der ganzheitlichen Sicht des Zusammenhangs von Entwicklung, Umwelt und Frauenleben und in der Überwindung der alten Nord-Süd- Konflikte. Für Rosiska Darcy de Oliveira, eine der brasilianischen Veranstalterinnen, war das Frauen-Forum eine Werkstatt für ein neues interkulturelles Verständnis, die die regionale und die thematische Vernetzung von Frauengruppen vorangebracht hat. Jedenfalls war Planeta Femea der Nabel des Global Forums in Rio — der Ort, an dem am umfassendsten, spannendsten diskutiert wurde. „Ein Ort“, resümierte Jocelyn Dow von DAWN, „wo wir Energie auftanken konnten.“