Wie im Gottesdienst

Die 38. Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen  ■ Von Annette Weber

Im Titel trägt das Festival die Bezeichnung „Kurzfilmtage“, und der absolute Lieblingskurzfilm der MacherInnen ist eindeutig der Werbespot. Dieser dem Profit ergebene Kurzfilm, der das Produkt an die Käufer zu bringen hat und dessen künstlerische Produktivität im kapitalistischen Bann steht, war denn auch jeden Tag und in jeder Schattierung, in jedem Alter und mit oder ohne Ton oder Farbe, vorhanden. Die Anpreisung, die Ware als Erlösung, wird in den nachkriegsdeutschen Werbefilmen am deutlichsten; man weiß den Namen, bevor man erfährt, wofür die Ware gut ist. Ganz am Anfang, 1898, bei der „Sunlight“-Werbung der Gebrüder Lumière, geht es noch sehr verschwommen um das Ambiente: die Wäscherinnen. Die norwegischen Zigarettentrickfilme, die den Qualm nicht retuschierten, sondern als künstlerisches Mittel benutzten, auf dem zum Beispiel Ballerinas tanzen konnten, entsprachen schon mehr dem Schick der 20er und 30er Jahre; und in den USA kam die Raucherin gleichberechtigt zum Zug, dank „Lucky Strike“. Der Krieg, in dem es ums Essen an sich und nicht um die Art des Essens als Kultur ging, unterbrach die Werbeproduktion.

„Großstadt“ ist — wenn alles hell erleuchtet ist: Werbefilme für die Prager Elektrizitätswerke vor dem Krieg; die singenden französischen Lippenstiftfrauen; Musical-Ersatz und Totemismus pur, danach. Besonders gelungen der von der mexikanischen Regierung verbotene, von den Surrealisten um Max Ernst gedrehte Film: Au petit jour à Mexico, on va fusiller un homme. Ein Mann soll erschossen werden, er nimmt sich seine letzte Zigarre, keiner der Exekutions-Soldaten hat Feuer. Der Kommandant brüllt: Feuer! Max Ernst weigert sich, den Mann zu erschießen, der doch noch nicht einmal in den Genuß seiner Zigarre kam. Der Kommandant dreht durch — der Gefangene ist frei.

Ob Kurzfilm, Werbefilm oder neuer Kunstwerbefilm, technisch innovativ auf HDTV hergestellt: der Begleittext im Festivalkatalog gibt von Anfang an zu verstehen, daß die Dichotomie Kunst — Werbung ein Kind des Kalten Krieges war. Jetzt sind wir multikulti, Benetton rules the world, und verdanken tun wir das dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme. Soweit der Text. „Die Werbung ist jetzt die Kunst“, hat schon vor Jahren ein Macher gesagt. Michael Schirner, der macht zwar gute Werbung (Zimbo), aber in den Diskussionen über Pop in den 80ern war die Freude über den Benetton-Bilderstreit seine einzig poppige Erkenntnis.

Ganz klar Pop-art und ohne Frage Werbung, die irren Commercials von Charles Wilp aus den 60ern: Und wieder im Afri-Cola-Rausch. Afri Cola: „sexi-mini-super-flower-pop- op-Cola. Alles ist in Afri Cola.“ Afri-Cola-Junks wie Amanda Lear und Donna Summer ziehen sich ihre „Droge“ mit kleinen Schläuchen direkt aus der Flasche. „Neue soziale Spiele im Afri-Cola-Rausch.“ Charles Wilp, der Beuys-Freund und Koons-Kumpel, hatte sich auch die Puschkin-Werbung ein paar Jahre früher einfallen lassen: „Der harte Mann und der Bär.“ — „Puschkin. Ist Gut. Ist für harte Männer!“ Leider mußte dieser Spot dem großen Konkurrenten James Bond weichen, „der hatte einfach ganz andere Möglichkeiten“.

Gänzlich beantwortet ist die Frage nach Werbung als Kunst bei Werberegisseuren wie Godard. Monsieur Godard als Werbefilmer; 1968 für „Schick“ After-shave. Chaotisches Aufstehen eines jungen Paares, extreme Desorientiertheit, Angekeife, Morgentoilette und dann der Witz der Harmonie durch After-shave- Benutzung. Zwanzig Jahre später dreht er eine Serie für Marith Francois Girbaud: Eine Lolita (Typ Vanessa Paradis) nach der anderen wirbt für irgendetwas, das wohl Mode ist. Ich verstehe nur die Hälfte des rauh und lasziv hingehauchten Französisch — bestimmt besser so.

Der Commercial als Kurzfilm, der in seiner Dramaturgie, so der Filmkritiker Georg Seeßlen, gar keine Unterschiede zum Spielfilm oder — als Ritual — zum Gottesdienst (!) aufweist. Es gibt wunderschöne Überzeugungsstrategien eines Werbefilms, die der Paarbildung etwa oder, noch besser, die assoziative. Mit der Ware im Spot werden Glücksbilder erzeugt — das Leben, das ich schon immer haben wollte: tolles Haus, freundliche Großmutter, schneller Flitzer und riesiges HiFi-Equipment, und, natürlich, der leckere Schokoriegel, für den da geworben wird.

Diedrich Diedrichsen hat auf dem Pop-Symposium über Werbung und HipHop und den Niedergang desselben bei erhöhtem Einsatz der Werbung gesprochen. Der Destabilisierungsfaktor (des Systems) wurde von ihm im Bereich der Produktionsanarchie in den Werbeagenturen ausgemacht — das war schön genug. Werbung hört nicht bei Benetton auf — auch wenn es noch so scheinen mag.

Rein technisch ist sie denn schon weiter: HDTV — High Definition TV- Spots. Hier waren vor allem die japanischen Commercials interessant — die Deutschen scheinen über Automodelle-Abfilmen nicht weit hinausgekommen zu sein. Die japanischen Spots reichen von Werbeclips zu Erholungsparks bis zur lustigen „unterschwelligen Produktwerbung“ von „Nec“: „der Taubenmann“. In einem Acht-Minuten- Film, in dem es um einen Mann, eine Frau und fernsteuerbare Tauben und die Wohnung der beiden Leute geht, die sich selbst wie Tauben benehmen, gurren, ihren Tee mit kurzen Ruck-Schluck-Bewegungen zu sich nehmen, tauchen ganz nebenbei immer „Nec“-Produkte auf. Die ganze Welt funktioniert nur mit „Nec“- Produkten.

Trotz der neuen Möglichkeiten, der hohen Auflösung, der Schärfe und der feingliedrigen Bildstruktur, gibt es bei HDTV selten Beispiele für eine künstlerisch angemessene Umsetzung. Die Darstellbarkeit übertrifft das Dargestellte, und das ist schade. Die HDTV-Rosinen sind Prosperos Bücher von Peter Greenaway, das Gegenteil von einem Kurzfilm und deshalb nicht im Programm. Das andere Sahnestückchen ist der 1990 gedrehte Film Infinite Escher, dem Nam June Paik als künstlerischer Berater beigestanden hat. Hier gelangt Sean Ono-Lennon mit Black-box-Verfahren und Animation in die Welt des Künstlers M.C. Escher.

Neben der Verschwörung der Werbeproduzenten, die sich anschicken, Kunst und Kommerz nun endgültig und konsequent zu vereinen, gibt es noch die „Brotherhood of Meat“. Die freundlichen Metzger, die gierigen Kannibalen. Filme gegen Hunger, gegen Verschwendung und für Vegetarismus. Gemeine Filme, schwarze Filme, die besten Filme des Festivals. Dazu zählte auch Un Cielo Languido Y Oxidado („Ein siecher, rostiger Himmel“), Ein kubanischer Film, der im internationalen Wettbewerb lief und der für mich zu den abgefahrensten Filmen dieses Festivals zählt. Eine banale Story von einem Mann, der nach Hause kommt und erfährt, daß er einen Sohn hat. Der Vater geht erneut los, sucht die Mutter, findet sie, verläßt dann im entscheidenden Moment den Ort (ein Altenheim, in dem sie zwischen tanzenden Pärchen den Boden wischt). Er geht weiter — einem Mann, der sich mit ihm um ein soeben erbeutetes Stück Fleisch streitet, platzt der Bauch, die Gedärme treten hervor. Der Mann gelangt in ein Haus, in dessen Keller Männer in weißem Linnen sitzen und sich waschen — oder von einem blinden alten Mann waschen lassen. Nachdem er sich gereinigt und sein letztes materielles Gut — ein selbstgemachtes Stroboskop — dort gelassen hat, geht er wieder weiter.

Bei diesem Film gab es keinen kulturellen Code, der ihn mir erläutert, nähergebracht hätte. Ergebnis: permanentes Hin- und Hergerissensein. Das ist der Vorteil der Werbefilme — da weiß man immer, was man hat.

Die Ansprechpartner für den Bezug der Filme aus den Wettbewerben können dem Katalog entnommen werden. Den gibt es für 15Mark bei: „Internationle Kurzfilmtage Oberhausen“, Christian-Steger-Straße10, 4200 Oberhausen.