Fernsehen entzaubert

Teleprompte Kolportage: Ein Fazit der taz-Serie über die Nachrichten im Fernsehen/ Sechster und letzter Teil  ■ Von Achim Baum

Sabine Christiansen kann es, Kronzucker vertut sich immer noch, Uli Wickert hat es inzwischen gelernt. Doch die News-Yuppies von RTLplus und Pro7 beherrschen es beinahe perfekt.

Die Rede ist vom Umgang mit dem autocue, auch bekannt als Teleprompter. Das ist eine kleine Kurbelmaschine unterhalb der Studiokamera, über die ein fleißiger Assistent den Text abrollt, den uns die ModeratorInnen so vorlesen, als wäre er ihnen gerade eingefallen. Aber wem sage ich das? Inzwischen lassen sich nur noch wenige Zuschauer davon blenden, kaum jemand fragt noch: Sprechen die das eigentlich alles auswendig? Das Publikum hat sich an den Trick gewöhnt, er gehört bereits zum Unterhaltungsrepertoire: Wer rollt am ungeschicktesten mit den Augen? Manche ModeratorInnen können es trotzdem nicht lassen: während des Vorspanns (oder, wie Jan Fromm, sogar im Abspann der Pro7-Nachrichten) kritzeln sie gewichtig in ihrem Pult-Manuskript herum, als müßten sie im allerletzten Moment noch das Neueste von Hand einfügen. Wahrscheinlich notieren die Herrschaften nur, daß sie nach der Sendung ihre(n) Geliebte(n) anrufen wollen.

Unentbehrlich wird das Manuskript immer dann, wenn vermeintlich wichtige Menschen interviewt werden. Dann strapazieren Voß und Niemetz vom ZDF, erst recht aber Frau Christiansen, ihre Augenmuskulatur, daß man fürchten muß, ihnen fallen die Äpfel aus den Höhlen. Bloß nicht fragen, was man denkt. Das könnte danebengehen. Auch hier machen es sich die KollegInnen von den Kommerzsendern leicht: sie denken einfach weniger. Das können sie sich leisten, weil sie ohnehin meistens die eigenen Leute interviewen — entsprechend lautet das Muster ihrer Fragen: Wie sieht's aus, Jupp? Wie geht's jetzt weiter, Pit? Das aber tun sie oft.

Kreuz und quer durch die Welt schalten

Speziell bei RTLplus und Sat.1, die sich beide ein neues Design zugelegt haben, wird regelmäßig und live kreuz und quer durch die Welt geschaltet. Ob die Korrespondenten etwas Wichtiges zu sagen haben, ist dabei zweitrangig. Der Effekt zählt: Wir haben unsern Pit vor Ort. Über all das kann man sich trefflich amüsieren. Und wenn Enzensbergers These vom „Nullmedium“ Fernsehen zutrifft, bleibt sogar die Hoffnung auf ein Publikum, das merkt: hier wird Kompetenz nur vorgegaukelt. Notfalls schalten wir um.

Inhaltlose Fragen und Antworten, wichtigtuerische Gesten und die öffentlich-rechtliche Furcht vor der eigenen Courage kennzeichnen allerdings nur die Oberfläche. Der eigentliche Bluff funktioniert subtiler. Wenn etwa in einem Nachrichtenfilm von Pro7 Bush und Kohl gemeinsam einen Hubschrauber besteigen, zeigt die nächste Einstellung garantiert irgendwelche Luftaufnahmen. Und ein Beitrag über atomare Verseuchungen in Australien endet mit einem Postkartenidyll der untergehenden Sonne, die mit einer weichen Blende aus der Nase (!) eines australischen Eingeborenen geschnitten wurde — ein technischer Kniff, der jede zuvor geäußerte Kritik filmisch konterkariert. Derart obszöne Ästhetisierungen des Unästhetischen werden von den kommerziellen Nachrichtenmachern gern als Alternative zu den „langweiligen“ Bildern der Öffentlich-Rechtlichen gepriesen. Und ebenso behaupten die Privaten von sich, das nachrichtentypische Auseinanderklaffen von Sprache und Film, die sogenannten Text/Bild-Scheren, ausmerzen zu wollen. Doch um welchen Preis? Da werden von Sat.1 die zufällig eingefangenen Bilder irgendeiner Schlägerei in Prag als Exempel für den Streit zwischen Tschechen und Slowaken vorgeführt. RTLplus hackt beliebige Archivfilme von Streiks im Ausland zusammen, um uns vorab zu zeigen, welche Folgen ein Ausstand des Öffentlichen Dienstes haben wird — vor allem, wenn die Müllabfuhr mitmacht: dann nämlich „liegt über allem ein süßlicher Verwesungsgeruch“.

Kolportage und blanke Stimmungsmache

Gewiß läßt sich mit dieser Art der „ästhetischen Barbarei“ (Horkheimer/Adorno) vieles bewerkstelligen — man kann sogar Text/Bild-Scheren damit vermeiden. Sogenanntes Infotainment aber, wie es die Kommerziellen selber gerne nennen, schlägt hier in blanke Stimmungsmache um. Die euphemistische Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung entpuppt sich schließlich als Reklametrick einer Industrie, die ihre News unter wirtschaftlichem Erfolgsdruck produzieren muß. So entzaubert das Fernsehen sich selbst. Und mit Blick auf die Nachrichten lautet der Gegensatz von Information nicht länger Unterhaltung, sondern: Kolportage.

Als Kritiker fällt man nach der Spätausgabe der Tagesschau gelegentlich in einen unruhigen Schlaf — und träumt davon, daß die NachrichtenjournalistInnen in Hamburg und Mainz all ihre kleinen Gesten, ihre Scheren und Textrollen in einen großen Sack stecken und zum Müll tragen. Befreit von dieser Last, richten sie ihr Rückgrat auf und stellen alle Fragen, die ihnen spontan einfallen. Und in ihr Manuskript kritzeln sie den Satz von Klaus Bresser: „Je tiefer man sich bückt, desto besser kann man getreten werden.“