Im Kindergarten der Schachelite

■ Beim Weltklasseturnier in Dortmund trifft Weltmeister Kasparow auf die besten Jüngsten

Die Faustregel hat ausgedient: Daß Schachkarrieren mit Ende dreißig ihren Höhepunkt erreichen, glaubt heute kaum noch ein Großer Meister. Das Durchschnittsalter der zehn weltbesten Schachspieler hat mit 26 Lebensjahren einen neuen historischen Tiefpunkt erreicht.

In Dortmund treffen ab heute zehn Weltklasse-Großmeister mit einem Schnitt von 25 Lebensjahren aufeinander. Gar nicht so außergewöhnlich jung erscheint das Dortmunder Feld, bedenkt man zusätzlich, daß die altgedienten Anatoli Karpow (40), Nigell Short (26), Arthur Jusukov (32) und Jan Tiemann (40) wegen des Kandidaten- Halbfinales im spanischen Linares gar nicht greifbar sind — sie proben das letzte Aufbäumen der älteren Generation vor ihrer nur allzu sicheren Ablösung durch die Jungen.

Eine Chance, Weltmeister Garri Kasparow nächstes Jahr wirklich zu besiegen, geben Schachexperten keinem dieser vier um die Kandidatur kämpfenden Altmeister. Kasparows Nachfolger dürfte eher in Dortmund denn in Andalusien zu finden sein.

Mit 29 ist der Weltmeister der Zweitälteste der zehn Besten, nur noch übertroffen vom Solinger Robert Hübner (43), dem seit zwanzig Jahren einzigen Deutschen mit Tuchfühlung zur Weltspitze. Wahlspanier Waleri Salow (27), und Jewgeni Barejew (25) aus Moskau vertreten das solide Mittelalter.

Der Ukrainer Wassili Iwantsuk (21) und der Inder Viswanathan Anand (22) gelten als die bestgehandeltsten Tips für Weltmeister Kasparows Thronfolge. Immerhin konnten beide König Garri schon in einem Turnier auf die Plätze verweisen.

Mit Jeroen Piket aus den Niederlanden und dem Londoner Michael Adams sind zwei diesmal und seltenerweise echte Westeuropäer mit von der Partie. Alexei Schirow aus Riga (19) und Gata Kamski (17), Tartar aus Brooklyn, liegen mit je 2.655 Punkten im Mittelfeld des Feldes.

Mit einem Punkte-Schnitt von 2.662 schiebt sich das „Chessmeeting“ in Dortmund auf Platz drei der Liste der besten Turniere der Welt. In Deutschland gab es niemals auch nur einen vergleichbar illustren Großmeister-Wettkampf.

Diesen eigenwilligen Rekord haben sich die Organisatoren des Dortmunder Schachturniers rund eine Millionen Mark und die Beteiligung eines zweiten Deutschen im Turnier der Großen Meister kosten lassen. Doch die deutschen Großmeister lieben die Dortmunder Schachtage so wenig wie umgekehrt. In den zurückliegenden Jahren haben viele westdeutsche Profi- Schachspieler das in mehreren Wettbewerben ausgetragene Schach-Festival gemieden.

Der Grund ist eher schlicht: „Grastat dreht doch jeden Pfennig zweimal um“, sagt einer, der schon einige Weltklassespieler auf seiner Liste hat, über den Dortmunder Organisationschef. Statt die üblichen Startgelder inklusive Hotelunterbringung und Verpflegung anzubieten, karre der lieber billige Russen an. Bei den westfälischen Marktwirtschaftlern heißt es dann, sie wollten ihren Sponsoren, allesamt deutsche Unternehmen, doch keine zweitklassigen Spieler bringen. Stefan Löffler