Kiste auf, Kiste zu

■ Robert Lepages Theaterzauber „Opium and Needles“ im Frankfurter TAT

In Kanada als Theatermagier gefeiert, steht ihm das deutsche Publikum hochverzückt, im Innersten aber ablehnend gegenüber. Der Bühnenzauberer Robert Lepage — ein zurückhaltender, akurater Schauspieler — schlägt aus der Theaterbühne ein Puppenheim, schwebt wie ein Luftgeist über der Bühne, erzählt die Lovestory von Miles Davis und Juliette Greco; sein Alter ego ist Jean Cocteau auf dem Rückflug von New York nach Paris. Er schreibt seine Lettre aux Americains. Zurückversetzt in das Reich des melancholischen Existentialismus, wird er mit dem Surrealismus der Blumenkinder übergossen. Lepages Geschichte erzählt, indem sie alle nur erdenklichen Bühnenregister zieht. Dem Publikum fallen die Augen aus — die Sinne schwinden nicht. Kirchenorgeln heulen, Orgiastisches tönt aus dem Off, alles wird vorgezeigt. Jegliches Geheimnis fehlt.

Robert Lepages ThéÛtre Repére war 1989 mit der Drachentriologie beim Theater der Welt zu sehen, 1990 auf Kampnagel mit Le Polygraph (Der Lügendetektor), nun das dritte Gastspiel des quirligen Theatererfinders aus Quebec: Opium and Needles, eben die Story von Miles Davis' Fall und Aufstieg im Bann der Juliette Greco. Lepages Hotelzimmer No.9, das schon Sartre bewohnte, ist im wahrsten Wortsinn Dreh- und Angelpunkt seiner Erzählung. Die Zimmerwand, in einen Bilderrahmen gespannt, dreht sich, durch die Leinwand drücken sich Puppen wie Schemen und Geister hindurch, so sie als Halbplastiken erscheinen und verschwinden. Visionen, die ergänzt werden durch Film- und Diaprojektionen auf die Leinwand, und durch einen Overhead- Projektor, an dem Schattenspiele entstehen: Wie Davis die Greco zu Wein und Kaffee einlädt (Wein und Kaffee schwappen auf der Overhead- Folie); wie Davis beim Pfandleiher seine Trompete versetzt. Und die Wand dreht sich wieder, läßt auch Lepage verschwinden und wieder erscheinen.

In der Regel schwebt Lepage aber über der Bühne, an Seilen angebunden. Er fliegt nach Paris als Cocteau, ihn rezitierend. Zwei rotierende Propeller am Bühnenhimmel lassen keinen Zweifel an einem Flugzeug aufkommen — und Lepage wäre nicht der Theatermagier Lepage, gelänge ihm nicht, auch die sich drehenden Propeller als Projektionsfläche zu gebrauchen: Verblüfft das Parkett, wenn die Propeller sich in ein Auge, ein Davidstern, schließlich: in applaudierende Hände verwandeln.

Der Magier arbeitet mit denkbar einfachen Mitteln — mit der Projektion und Überblendung, aus denen ein Panoptikum der Visionen entsteigt: unterhaltsam, da es dem Filmischen sehr nahe kommt und der Eindruck bleibt, eher in einem Kino als vor einer Bühne gesessen zu haben. Zwischentitel, Orts- und Zeitangaben werden eingeblendet, Filme mit der Greco werden gezeigt. Miles Davis als Taucher unter Wasser spielt Trompete — der Bühnensyntheziser mimt das entsprechende Geräusch, der Organist spielt Filmmusik.

Der amerkanische Revuefilm wird an schönster Stelle mitgenutzt. Lepage in den Seilen hängend vor seiner Leinwandkulisse — er fliegt, schwebt eine Hauswand empor — höher und höher, dann fällt er, stürzt und taumelt — pure visuelle Suggestion (er bleibt natürlich in gleicher Höhe im Raum hängen). Lepages Interesse an Davis, Greco, Cocteau ist dennoch eher marginal, oder besser: romantisch. Die Story ist eine Projektionsfläche für seine Theatertrickkiste, die er öffnet und schließt. So erwacht auch das Publikum, wenn ein neuer Trick sich anbahnt, eine neue Illusion hervorgezaubert wird, und nickt ein, sobald sie geschlossen wird. Der Preis seines Zaubertheaters ist das Theater selbst. Seine Dramaturgie lehnt sich an Bilder an, sind Rekonstruktionen von Cocteau-Fotos aus dem 'Life Magazine‘ 1949 — Cocteau mit vier Armen, Cocteau in einem Hotelzimmer, ein nackter Jüngling auf dem Kopf über ihm schwebend: Lepage zeigt Original und Theater stets im Vergleich. So will er sich Glaubwürdigkeit ertrotzen, zugleich für das Gelingen seiner Rekonstruktion Applaus erheischen (was nicht gelang). Arnd Wesemann

Opium and Needles. Ein Solo von und mit Robert Lepage im Frankfurter TAT.