Immer wieder auf neuen Pfaden

■ Der Kurde Selman Arikboga gründete die erste Gruppe schwuler Ausländer in Deutschland/ Als Reaktion auf sein Engagement bekam er Morddrohungen von islamischen Fundamentalisten

Berlin. Das kraftvolle Blitzen in seinen Augen hat mich am meisten beeindruckt, als ich Selman Arikboga vor gut einem Jahr kennenlernte. Voller Elan, Feuer, Hoffnungen in Kopf und Herz stürzte er im vergangenen Januar in die Redaktion der Schwulenzeitschrift 'magnus‘, um sich und die von ihm initiierte erste Organisation schwuler Ausländer bekannt zu machen. Selbst, als sich die »Schwule Internationale« längst in der Stadt herumgesprochen hatte, war das Blitzen in seinen Augen nicht erloschen. Sie strahlten, wenn er im Szene-Café »Anderes Ufer« von den neuen Vorhaben des Vereins erzählte. Und sie leuchteten sogar noch ein wenig im Dunkeln von »Tom's Bar«, wo er sich einsam an einem Flens festhielt.

Keinen Kontakt mehr zu seinem Vater

Selman Arikbogas leidenschaftliches Engagement ist eng mit seiner Biographie verwoben. 1966 in Kurdistan geboren und in Istanbul aufgewachsen, kam er im Alter von 14 Jahren mit seinen Eltern (»typische Gastarbeiter«) in die Bundesrepublik. In Berlin begann er nicht nur eine Lehre als Einzelhandelskaufmann, sondern entdeckte auch seine Sympathie für die schwule Subkultur. Als sein Vater davon erfuhr, setzte er ihn vor die Tür. Seit mittlerweile sieben Jahren hat Selman zu seiner Verwandtschaft keinen Kontakt mehr. Auf sich allein gestellt, lernte er sich zu behaupten und zu kämpfen.

Natürlich liegt es auch in seinem Naturell, immer wieder neue Entwicklungen anzustoßen. Noch in der Türkei wollte der Schüler Selman unbedingt den 1. Mai als Arbeiterkampftag gegen die Militärdiktatur durchsetzen und wurde festgenommen. In der Bundesrepublik engagierte er sich in der Gewerkschaft HBV, in deren Landesvorstand er nach kurzer Zeit landete. Selman kümmerte sich dort als erster um die Belange ausländischer Arbeitnehmer. Als sich genügend andere dafür fanden, stieg er aus und gründete »SOS Rassismus« mit. Immer dann, wenn sein Engagement keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr versprach, suchte sich Selman etwas Neues. Auf diesem Weg geriet er vor drei Jahren auch in die Homo-Politik. Den Anstoß gab ihm die »Erkenntnis, daß ich im Beruf zwar als Ausländer akzeptiert war, aber nicht als Schwuler«. Doch weil für alle Homo-Grüppchen, in denen er sich schnell Pöstchen erarbeiten konnte, Rassismus kaum ein Thema war, wollte er in der »Schwulen Internationale« die Interessen von Ausländern und Schwulen vereinen.

Schwule Ausländer als Sex-Symbole

Zu Selmans Verdiensten gehört es, die Doppeldiskriminierung überhaupt ins schwule Bewußtsein gebracht zu haben. »Es gibt viele Deutsche, die gerne eine tropische Frucht pflücken wollen«, spielt er auf hartnäckige Vorurteile in der Szene an. Manche Homo-Männer sehen in jungen Türken nur den Stricher oder glauben, daß Farbige besonders lange Schwänze haben. Um nicht als »Erntehelfer« mißverstanden zu werden, schlüpfte Selman immer mehr in die Rolle des Politikers und des Sozialonkels. Zweifellos ist er dafür geeignet. Doch je perfekter er seine Rollen ausfüllte, um so mehr nahm das Glitzern in seinen Augen ab.

Unbequem zu allen Seiten hin

Selmans ehrenamtlicher Fulltime- Job als Chef der »Schwulen Internationale« ist Routine geworden. Jeden Tag rufen ihn rund drei Leute an, die Schwierigkeiten mit der Aufenthaltsgenehmigung haben oder sich einfach mal ausheulen wollen. Für jeden hat Selman eine Antwort oder zumindest eine Aufmunterung parat. Geld vom Senat bekommt er dafür nicht. Denn für den Alibi-Ausländer, den sich die Homo-Beamten wünschen, verhält er sich zu fordernd, mit Kritik an ihrer Integrationspolitik hält er nicht hinter dem Berg. Kein Wunder, daß Selman permanent zu kämpfen hat. Am härtesten treffen ihn Morddrohungen aus Kreisen islamischer Fundamentalisten, die durch das mutige öffentliche Engagement auf ihn aufmerksam wurden. Ein Interview mit dem türkischen Fernsehen lehnte Selman aus diesem Grund ab.

Verein hat sich etabliert

Zu Berlin, Hauptstadt der Schwulen schon lange vor der Wiedervereinigung, hat Selman Arikboga kein besonderes Verhältnis. »Ich fühl mich nicht als Berliner, ich fühl mich als Mensch«, versichert er mir glaubhaft. Identifikation bietet ihm neben der »Schwulen Internationale« vor allem seine »multikulturelle, schwule Wohngemeinschaft«. Die lebendige Atmosphäre in der Küche spendet ihm mehr Wärme als die ganze Stadt Berlin. Über seinen deutschen Mitbewohner und »International Lesbian and Gay Association«- Aktivist Bernd Stürzenberger hat Selman Kontakte in die gesamte Welt.

»Vielleicht werde ich in der deutschen Provinz einmal einen Ableger der Schwulen Internationale gründen«, meint Selman Arikboga auf seine Zukunftspläne hin befragt. Mittlerweile ist der Zeitpunkt gekommen, wo er sich eigentlich nach einem neuen Engagement umgucken müßte. Sein Verein hat sich etabliert, schwule Ausländer beginnen sich zu profilieren. Und doch kann ich mir Selmans Zukunft kaum in Bamberg oder Gera vorstellen. »Wenn ich es in Deutschland nicht mehr aushalte, gehe ich nach Venezuela«, meinte er ein anderes Mal und schaute mir dabei ins Gesicht. Und da war es wieder: dieses kraftvolle Blitzen in Selmans Augen, dieser Elan, diese Hoffnungen. Genauso wie vor einem Jahr. Micha Schulze