Neue Ermittlungen im Fall Gustav Just

Landtagssitzung in Potsdam über den ehemaligen Alterspräsidenten/ Bräutigam läßt neu ermitteln  ■ Aus Potsdam B. Markmeyer

Zum zweiten und vermutlich zum letzten Mal befaßte sich der Potsdamer Landtag am Montag mit dem Fall Gustav Just. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter-Michael Diestel nahm sich in einer von der CDU beantragten Fragestunde mit sechs „dringlichen Anfragen“ noch einmal den parteilosen Justizminister Hans Otto Bräutigam vor. Die ChristdemokratInnen hatten seinen Rücktritt gefordert. Sie werfen Bräutigam vor, den Fall „vertuscht“ zu haben.

Gustav Just (SPD) war als Alterspräsident des Landtags und als Vorsitzender des Verfassungsausschusses zurückgetreten und hatte sein Mandat am 10. März niedergelegt. Der Justizminister wußte bereits Ende 1990, daß Just sich als Soldat im 2. Weltkrieg an der Erschießung von sechs Juden beteiligt hatte, informierte das Parlament jedoch nicht. Im April letzten Jahres entschied Bräutigam, die Immunität von Just nicht aufheben zu lassen. Die Tat sei verjährt, weitere Ermittlungen habe er nicht nicht für nötig gehalten.

Genau das bezweifelt die CDU. Im Kern geht es um die Frage, ob Just Beihilfe zum Mord oder Mord vorzuwerfen ist. Beihilfe verjährt nach 15 Jahren. Wegen Mordes könnten auch heute noch Ermittlungen eingeleitet werden. Bräutigam, so Diestel, habe „entscheidende Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt“. Weder habe sein Ministerium versucht, Zeugen der Erschießung ausfindig zu machen noch Justs vollständiges Kriegstagebuch zur Bewertung herangezogen, das sich nach Diestels Angaben im Zentralen Staatsarchiv Potsdam befinden soll und zuvor in der Hauptabteilung IX/11 der Stasi aufbewahrt war. Erst jetzt, nach Justs Rücktritt, veranlaßte Bräutigam, wie er in der Landtagssitzung sagte, erneut Ermittlungen gegen Just. Die zuständige Staatanwaltschaft in Frankfurt/Oder wird also erneut genau das tun, wofür sie vor gut einem Jahr bei Justizminister Bräutigam die Aufhebung von Justs Immunität erwirken wollte: Sie ermittelt wegen Mordes— und zwar gegen Just selbst, aber auch andere an der Erschießung Beteiligte, darunter den Kommandeur von Justs Einheit. Damit gesteht Bräutigam indirekt ein, was er während der Fragestunde immer wieder bestritt, nämlich daß er möglicherweise auch juristisch den Fall Just falsch beurteilt hat. Daß nunmehr neue Ermittlungen aufgenommen würden, begründete Bräutigam allein damit, daß auf diese Weise alle Zweifel an seiner Rechtsauffassung ausgeräumt werden könnten.

Die politische Debatte in Potsdam verlief gestern wie schon in den letzten zwei Wochen. Die SPD warf der CDU vor, sich am Fall Just nur zu profilieren, um Manfred Stolpe zu schaden und von eigenen Streitereien abzulenken — was zumindest bei Diestels jüngstem Problemen nicht ganz unwahrscheinlich ist (siehe Seite 2). Bräutigam blieb auch bei mehrmaligen Nachfragen eines CDU-Abgeordneten dabei, den Ministerpräsidenten nicht im Detail über die Vorwürfe gege Just informiert zu haben: „Das war meine Entscheidung.“ Günter Nooke vom Bündnis 90 bescheinigte — wie auch der Koalitionspartner FDP — Bräutigam juristisch „korrektes Vorgehen“, nannte die CDU „scheinheilig“ und warf der Partei vor, die „Vergangenheitsaufarbeitung aus parteipolitischem Interesse zu instrumentalisieren“.