Eine Fuge ist Broccoli...

■ ...und Mathe ist toll: Prof. Peitgen überzeugte 200 SchülerInnen

„Wenn man Mathematik kann, kann man seine persönlichen Probleme viel besser lösen“, behauptet Julia (16) steif und fest — „das sagt nämlich meine Mathe-Nachhilfe!“ Doch weil dieses psychologisch-mathematische Lebensmodell im wirklichen Leben noch nicht so ganz gefruchtet hat, kam Julia gestern, wie etwa 200 andere SchülerInnen auch, zur Uni, um sich von dem bekannten Chaos-Forscher Heinz-Otto Peitgen von der Wichtigkeit der Mathematik für das Leben nach dem Bildungsbunker überzeugen zu lassen.

200 SchülerInnen, die über eine Stunde gebannt dem Mathe- Unterricht lauschen, ohne gelangweilt ihren Game-boy aus der Tasche zu ziehen, und die dann auch noch in Beifallsstürme ausbrechen — welcher Pauker träumt nicht davon? Kein Problem für Prof. Peitgen: Da erzählt er von Broccoli und Selbstähnlichkeit, den Gipfeln des Kilimandscharo und nicht-linearen Kontraktionen, von Hubschrauberflügen über mathematische Gebilde und Rückkoppelung. Und plötzlich wird eine der meistgehaßten Wissenschaften spannend und schön!

„Mathematik wird zur Sprache aller Wissenschaften“, sagt Peitgen. Aber ist sie auch aufregend? Sie wird es, wenn die 13-16jährigen in wildes Rätselraten über den Ausgang eines Computerexperimentes geraten — und das dargestellte Ergebnis aussieht wie marmorisiertes Papier. Oder wenn Berggipfel plötzlich nicht mehr Berggipfel, sondern Siliziumatome sind.

Peitgen: „In Mathematik versagt zu haben, ist heute immer noch ein Kavaliersdelikt, mit dem sich Politiker geradezu rühmen. Und in der Schule wird heute die Mathematik des Altertums angeboten — doch wir interessieren uns mittlerweile für ganz andere Dinge.“

Zum Beispiel dafür, daß ein Broccoli so aussieht wie ein Broccoli. Und daß ein Röschen des Broccoli so aussieht wie ein Broccoli. Und ein winziges Röschen des Broccoli-Röschens auch so aussieht wie ein Broccoli: „Das ist die eine Hälfte der neuen mathematischen Sprache: Das Prinzip der Selbstähnlichkeit.“ Weil in einer Musik-Fuge von Bach alle Stimmen dasselbe Thema in verschiedenartiger Geschwindigkeit spielen, ist eine Fuge übrigens auch sowas wie Broccoli.

„Dieses Prinzip haben die Menschen schon immer erkannt, und es scheint so, als habe die Natur davon Gebrauch gemacht.“ Und die zeigt: Mathematik ist mehr als nur Dreiecke, Prismen und gerade Linien. Aus vier Vierecken und einem Potenzierungs- Zufallsexperiment wird, unter den staunenden Blicken der SchülerInnen, ein „Universum voller verrückter Bilder“, eine Landschaft, über die man (per Computer) mit dem Hubschrauber fliegen kann. Wie dieses Prinzip funktioniert? Wenn Sie und ich damals im Matheunterricht besser aufgepasst und nicht immer nur die Deutsch-Hausaufgaben abgeschrieben hätten, könnte ich mir alle Worte sparen und genau 24 Zahlen hinschreiben — denn das würde reichen, um das Prinzip exakt zu beschreiben. Steno ist out, Mathe ist in! Susanne Kaiser